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Eine Smart Factory dient der Verbindung von Ausbildung, Forschung und Wirtschaft. © CC0 - pixabay.com

Das Projekt smartfactory@tugraz dient als Hub zwischen Forschung, Lehre, Gewerbe und Industrie.

Konzepte wie zum Beispiel das Industrial Internet of Things (IIoT), Industrie 4.0 oder Fertigungsverfahren wie 3D-Druck sind gerade für Klein- und Mittelbetriebe wenig greifbar. Ohne große Anfangsinvestitionen ist man nicht in der Lage, mit diesen neuen Möglichkeiten spielerisch neue Ideen zu erforschen und so sein Unternehmen in die richtigen Bahnen für die digitalisierte Zukunft zu lenken. Pilotfabriken, neudeutsch auch Smart Factories genannt, springen hier als Hub zwischen Forschung, Lehre, Gewerbe und Industrie in die Bresche und dienen als Drehscheibe für den Wissenstransfer. Sie liefern nicht nur den idealen Rahmen für Studierende, um praxisnahe Erfahrungen zu sammeln, sondern bieten darüber hinaus die Gelegenheit, das Potenzial neuer Technologien für den eigenen Betrieb auszuloten.

Solche Einrichtungen gibt es dank Förderungen der öffentlichen Hand und den Beiträgen engagierter Unternehmen auch in Österreich. Die am Campus Inffeldgasse der TU Graz angesiedelte smartfactory@tugraz beispielsweise verbindet seit 2017 modernste Anlagen der mechanischen Fertigung und Montage über fortschrittliche Produkte der Informationstechnologie zu einem Cyberphysikalischen Produktionssystem und macht die digitalisierte Fertigung anhand der Produktion realer Produkte sichtbar. So werden die schwer greifbaren Technologiekonzepte konkret sichtbar gemacht. Sie versteht sich als Digitalisierungs-Inkubator der fertigenden Industrie und misst insbesondere den Bedürfnissen von KMU hohe Bedeutung zu.

Ausgezeichnete Plattform
Eines dieser engagierten Unternehmen, die als einer von rund 20 Industriepartnern großen Anteil an der smartfactory@tugraz haben, ist der Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Anbieter proALPHA, dessen Software auch in der Modellfabrik selbst zum Einsatz kommt. Aber warum hat man sich dazu entschlossen? Wofür braucht man eine solche Modellfabrik? Diese Frage beantwortet Alexander Szameitat, heute Prokurist der proALPHA Software Austria GmbH und ehemals selbst Student der technischen Mathematik an der TU-Graz, folgendermaßen: „In kaum einer Branche wirken sich technologische Entwicklungen so rasch aus wie im Bereich IT. Daher sind die Unternehmen gut beraten mit Forschungseinrichtungen zu kooperieren, um Ergebnisse aktueller Forschung frühzeitig ihren Kunden und Interessenten präsentieren zu können. Eine Pilotfabrik bietet eine ausgezeichnete Plattform, um unabhängig von unternehmenskritischen Daten prototypisch Lösungen aufbauen und demonstrieren zu können.“

Rudolf Pichler, Professor für Advanced Manufacturing und Projektleiter der Smart Factory an der TU Graz, stellt besonders den Aspekt der Schnittstelle zwischen Ausbildung und Praxis in den Vordergrund, in seinen Worten die „für alle zugänglichen Schauplätze zur Vermittlung der sogenannten disruptiven Technologien“. Pichler weiter: „Die unaufhaltbare Digitalisierung kann dort didaktisch bestens, weil erlebbar, demonstriert werden und als Startpunkt für viele betrieblich spezifische Projekte genutzt werden. Pilotfabriken ermöglichen insbesondere auch, dass viele Betriebe – insbesondere KMU – den Anschluss an wettbewerbsentscheidende Neuausrichtungen nicht verlieren. Die Aufgabe der Pilotfabriken ist somit nicht nur die zukunftsgerechte Ausbildung von Studierenden sondern auch die Schaffung von Plattformen, wo Betriebe mit weniger institutionalisieren und spezifischen Stabstellen eine Anlaufstelle haben, um die eigene Digitalisierungs-Roadmap endlich anzugehen.“

Machen Sie keine Alleingänge
Nicht ganz zwei Jahre ist es her, seit der Startschuss gefallen ist. Die vielen Teilhaber an dem Projekt ziehen an einem Strang. Alexander Szameitat zieht ein positives Resümee der vergangenen Monate. Von Anfang an sei es für alle beteiligten Unternehmen wichtig gewesen – abseits von den eigenen Interessen – gemeinsame Show-Cases zu entwickeln mit denen Besuchern Ideen für eine smarte Fabrik anschaulich präsentiert werden können, so der proALPHA-Prokurist und Bereichsleiter für Softwareentwicklung und Systemtechnik. In vielen Diskussionen hätten sich speziell die „Big-Player“ im Konsortium sehr kooperativ gegenüber „kleinen“ Konsortialpartnern verhalten, „es ist ein sehr offen geführter aber lösungsorientierter Dialog“. Fast noch enthusiastischer äußert sich Professor Pichler zur Startphase: „Wirklicher Fortschritt in neuen Themen geschieht nur über ein starkes Team und ein starkes Konsortium. Beides ist bei der Pilotfabrik in Graz wunderbar gelungen und die Fortschritte sind erstaunlich gut, trotzdem wir uns schwieriger Themen angenommen haben.“ Als Mann der Wissenschaft extrapoliert er aus den Daten auch gleich eine hilfreiche These: „Dies ist auch die Botschaft an die Betriebe, die die Digitalisierung in Angriff nehmen wollen. Suchen Sie sich willige und starke Partner, machen Sie keine Alleingänge, suchen Sie erfolgreiche Referenzen, erzeugen Sie auch genügend Neugierde und Spieltrieb in Ihrer Organisation.“

Herausforderungen für das ERP
Dem ERP-System kommt in jedem Betrieb, so auch in der Smart Factory, eine zentrale Bedeutung zu. Je datengetriebener ein Produktionsprozess läuft, je näher man an die „magische Losgröße 1“ herankommen möchte, desto zentraler wird diese Rolle. „ERP-Systeme bilden als erstes Teilsystem immer das Produkt- und Leistungsangebot einer Unternehmung und den machbaren Kundenwunsch ab. Im Zeitalter der individualisierten Produktion muss hier maximale Beweglichkeit zugunsten des Kunden dargestellt werden können. Sogenannte Produktkonfiguratoren sind somit unabdingbare Module eines modernen ERP-Systems. In weiterer Konsequenz müssen diese Daten nahtlos bis in die Werkstatt und andere Teilsysteme gebracht werden können, es müssen also weitestgehend offene Schnittstellen angeboten werden. Ergänzend dazu muss eine hohe Auskunftsfähigkeit zu jedem Zeitpunkt über den aktuellen Stand der Produktion möglich sein“, so Pichler über die Ansprüche, denen Software wie jene des Projektpartners proALPHA genügen muss.

Szameitat ergänzt einen weiteren, ausgesprochen wichtigen Punkt: „Die große Herausforderung für ERP-Hersteller besteht darin, ihr System für den Zugriff externer Systeme zu öffnen, aber die im ERP-System verwalteten Daten punkto Sicherheit mehr denn je zu schützen“, und weiter: „Cloud-basierende Lösungen bergen für KMU die Chance ein komplexes ERP-System auch ohne speziell geschultes IT-Fachpersonal betreiben zu können und dennoch die unternehmenskritischen Daten in Zeiten immer stärkerer Vernetzung gut geschützt und hochverfügbar zu wissen. Noch vor wenigen Jahren wähnte man bei vielen KMU Daten auf einem Server „im Haus“ vom Gefühl her wesentlich besser geschützt als in der Cloud, heute ist das Absichern des eigenen Servers ohne stets geschulte IT-Security-Experten nur schwer zu gewährleisten. Und die Systeme entlang der Wertschöpfungskette (Lieferanten, Spediteure, staatliche Institutionen, Kunden) sind heute schon so stark vernetzt, dass bei einem Ausfall eines Systems kaum mehr ein Rücksetzen auf einen „älteren“ Sicherungsstand möglich ist. Hochverfügbarkeit um Synchronität der Systeme zu gewährleisten ist daher immer mehr eine Notwendigkeit – auch für KMU-Betriebe.“

Wieder was gelernt
Es gibt also genügend Anknüpfungspunkte, bei denen proALPHA ansetzen und sein Produkt mithilfe von Learnings aus der Pilotfabrik weiterentwickeln kann. Erste Früchte konnten auch schon geerntet werden, wie Alexander Szameitat berichtet: „Aktuell befinden wir uns noch in der Aufbauphase, aber wir konnten einige Lösungsansätze aus den Bereichen Konnektivität und Security mitnehmen. In der Betriebsphase erwarten wir uns, über Diplomarbeiten bzw. Dissertationen – auch in Kooperation mit unseren Kunden – Lösungen prototypisch entwickeln und dann auch in der Breite einsetzen zu können.“ Der smartfactory@tugraz-Projektleiter Pichler gibt bereits einen kleinen Ausblick auf die Zukunft, wenn er von der Ausarbeitung einer hoch-datendurchgängigen Lösung für die gesamte Fertigung erzählt, die die Anbindung des ERP an ein PLM (Product Lifecycle Management) und ein MES (Manufacturing Execution System) über den Einsatz einer hochwertigen Middleware ermöglichen wird. „Der universelle Datenaustausch über mehrere herstellerunabhängige Systeme wird mit Bestimmtheit neue Inputs für die Entwicklung von proALPHA liefern“, ist Pichler überzeugt.

Auch abseits der Technologie gibt es positives aus der smarten Fabrik zu berichten. Denn trotz aller Bits & Bytes arbeiten und forschen dort weiterhin Menschen aus Fleisch und Blut. Gefragt nach seinem eigenen, persönlichen Highlight aus den knapp anderthalb Jahren seit dem Start antwortet Szameitat: „Die ausgezeichnete lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den anderen Konsortialpartnern aus Lehre und Industrie.“ Sehr ähnlich klingt die Antwort von Rudolf Pichler: „Die Zusammenarbeit im eigenen Team als auch mit den hoch engagierten Konsortialpartnern aus der Industrie, hier ziehen wirklich alle an einem Strang. Nahezu täglich erleben wir Fortschritt und haben laufend neue spannende Ideen.“ Was sein Forscherherz sichtlich erfreut, schließt er daran an: „Das Highlight schlechthin war, als sich ein großer und auch kritischer Geldgeber dahingehend äußerte, dass das Geld für die Pilotfabrik in Graz gut investiert ist.“ Das ist zum Abschluss etwas, aus dem sicher auch andere Unternehmen ihre Lehre ziehen können. (rnf)