„Ich glaube an weiteres Wachstum.“

NEW BUSINESS - NR. 9, NOVEMBER 2020
Seit Juli 2020 führt Andreas Müller die Linde- Gas-Geschäfte in Österreich und Ungarn. © Linde Gas

Er ist glühender Optimist und seit Juli neuer Linde-Gas-Österreich-Chef: Andreas Müller im Gespräch über die Wichtigkeit, Zukunftstrends zu erkennen und trotz Krise zu investieren.

Herr Müller, Linde Gas ist ein international tätiges Unternehmen und ein führendes Unternehmen in Österreich mit einem breit gefächerten Angebot primär an Gasen für Gewerbe und Industrie, Medizin und viele andere Bereiche der Wirtschaft. Seit Juli sind Sie für die ­Geschäfte in Österreich und Ungarn verantwortlich. Sahen Sie aufgrund des Corona-Lockdowns jemals Ihre Lieferketten gefährdet?
Nein, die Supply Chain war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Als Infrastruktur-kritisches Unternehmen ist uns das auch besonders wichtig. Immerhin müssen wir auch die medizinische Versorgung sicherstellen: Covid-Kranke benötigen Sauerstoff, wir haben hier also eine besondere Rolle, die wir sehr ernst nehmen. Was man dazu auch wissen muss: Gase werden primär lokal produziert! Linde Gas verfügt in Österreich über sechs Produktionsanlagen und über entsprechend viele Anlagen in den Nachbarländern. Somit können Grenzschließungen der Lieferkette nichts anhaben. Darüber hinaus ist es auch wichtig, dass wir die Produktion selbst aufrechterhalten. Dafür brauchen wir unsere Mitarbeiter vor Ort in den Anlagen und legen seit Beginn der Pandemie großen Wert darauf, dass diese geschützt werden. Glücklicherweise haben wir es auch geschafft, in der Mannschaft bis dato keinen Infizierten zu haben. Das ist zum einen wichtig, weil uns die Gesundheit der Mannschaft am Herzen liegt. Zum anderen aber auch, weil wir damit keine Einschränkungen in der Produktion hatten. Natürlich wurden hier viele Sicherheitsmaßnahmen eingeführt und die Notfallpläne aktiviert, da wir als Infrastruktur-kritischer Lieferant entsprechende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft haben – nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Industrie. Das haben wir als Team sehr gut hinbekommen und die Lieferkette war nie beeinträchtigt.

Mit welchen Ländern ist Linde Gas am stärksten verknüpft? Wo sind Ihre wichtigsten Produktionspartner, wo Ihre wichtigsten Kunden?
Es ist, wie gesagt, ein lokales Geschäft, wir arbeiten aber stark mit den Nachbarländern zusammen. Vor allem mit Deutschland, Tschechien und Ungarn sind wir eng verknüpft. Ob wir Produkte beziehen oder liefern, ist abhängig von der Art des Gases: Die meisten Gase produzieren wir in Österreich selbst, einige Gase werden in anderen Ländern hergestellt und andere Gase wiederum liefern wir in die Nachbarländer. Hauptsächlich beliefern wir aber hier in Österreich ansässige Firmen, unser größter Kunde sitzt beispielsweise in Oberösterreich, wir haben aber Standorte in fast allen Bundesländern.

Stichwort Kurzarbeit: Hat Linde Gas diese durchaus wichtige Hilfestellung der Regierung in Anspruch genommen bzw. sind Ihre Mitarbeiter noch in ­Kurzarbeit?
Ja, wir haben das Angebot der Kurzarbeit genutzt. Ich halte das auch für ein sehr gutes Tool der Regierung – gerade für kurzfristige Störungen in der Marktstruktur. Glücklicherweise war diese Störung bei Linde auch tatsächlich nur kurzfristig. Wir haben punktuell einen sehr starken Volumenrückgang gespürt. Unter anderem im Gastronomiebereich, den wir mit CO2 für Getränke beliefern. Für diesen Zeitraum hat uns und den betroffenen Mitarbeitern die Kurzarbeit sehr geholfen. Mittlerweile sehen wir aber eine gute Erholung in der Nachfrage nach Gasen für die Industrie. Derzeit befindet sich auch niemand mehr in Kurzarbeit bei uns.

Was macht die Gaseindustrie so krisenfest?
Bei Industriegasen sehe ich derzeit zwei Effekte. Erstens: Wir haben ein breites Kundenportfolio, denn das ist das Interessante an Gasen, man braucht sie überall: in der Stahlindustrie, bei Lebensmittelbetrieben, in Werkstätten, bei Chemie und Pharma, natürlich auch bei Privatkunden und in vielen anderen Bereichen. Das heißt, man ist unabhängig von den Einschnitten in gewissen Branchen. So etwa trifft uns der Rückgang im Tourismus und der Gastronomie, aber die höhere Nachfrage im medizinischen Bereich gleicht das wiederum aus. Leider, muss ich natürlich sagen. Mir wäre lieber, Patienten würden keinen Sauerstoff benötigen, aber ich bin froh, dass wir hier helfen können!
Und zum zweiten Punkt: Wir setzen Gase dazu ein, um Produktionsprozesse effizienter zu gestalten. Das ist gerade in Krisenzeiten wichtig, wo Kosten im Vordergrund stehen. Wir haben auch schon in den letzten Jahrzehnten gesehen, dass der Einsatz von Industriegasen überproportional zur Industrieproduktion steigt. Dadurch haben wir eine relativ schnelle Erholung gesehen und sind zur Zeit fast wieder auf dem Normalstand. Wir sind also zufrieden.

Wie ist Ihr Gefühl in Sachen Homeoffice? ­Funktioniert das gut oder ist es nur Mittel zum Zweck, solange es nötig ist?
Wir müssen hier einerseits unterscheiden zwischen den MitarbeiterInnen im Werk, die etwa die Gasflaschen physisch füllen. Die MitarbeiterInnen haben auch während des Lockdowns an vorderster Front für uns gekämpft und den Betrieb am Laufen gehalten. Und auf der anderen Seite haben wir die Büromitarbeiter, die wir tatsächlich von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice geschickt haben. Das wurde von der Mannschaft gut angenommen und ich bin dankbar für diese Option. Auf Dauer fehlt aber die soziale Komponente. Das Feedback der Mitarbeiter fällt hier unterschiedlich aus: Die einen schätzen den Zeitgewinn, da sie sich die Anreisezeit sparen können, und arbeiten gerne von zu Hause. Die anderen schätzen den sozialen Kontakt vor Ort und wollen lieber im Büro arbeiten. Als Arbeitgeber ist es mir wichtig, dass wir Homeoffice mittlerweile flexibel anbieten können und die Mitarbeiter meist selbst entscheiden können, wie es ihnen am angenehmsten ist. Grundsätzlich hat das digitale Arbeiten einen Schub bekommen durch die Pandemie. Ich sehe es als hervorragendes, flexibles Tool, mit dem der Arbeitgeber sich auch modernisieren kann. Ich messe im Endeffekt das Ergebnis und nicht die Arbeitszeit meiner Mitarbeiter. Wir hatten aber auch schon vor Corona Erfahrung mit virtuellem Arbeiten: Da wir global aufgestellt sind, haben wir bereits viel mit Videokonferenzen gearbeitet.

Wie ist Linde Gas bis dato durch das Jahr 2020 ­gekommen?
Gesundheitlich haben wir es sehr gut für die Mitarbeiter managen können. Wirtschaftlich gab es natürlich einen spürbaren Einschnitt von März bis zu den Sommermonaten, aber seitdem haben wir doch eine gute Erholung gesehen und sind grundsätzlich optimistisch, dass das nächstes Jahr weitergeht. Aber auch wir haben keine Glaskugel und wissen nicht, wie das Virus und die Pandemie sich weiter verhalten, vor allem weil die Infektionszahlen aktuell wieder steigen.

Hätten Sie sich erwartet, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft durch Corona so eklatant sein könnten?
Einen Lockdown haben wir wohl alle noch nicht mitgemacht, somit konnte das auch niemand vorhersehen. Es gibt sicher einige Unternehmen, die Krisen wie diese nutzen, um ohnehin erforderliche Restrukturierungen durchzuführen. Wir standen sowieso schon vor einer Rezession – die Corona-Pandemie war nur noch der Brandbeschleuniger. Ich bin aber wirklich optimistisch, dass wir hier schnell rauskommen werden, und glaube auch nicht, dass es eine nachhaltige Delle hinterlassen wird. Was wir bei unseren Kunden in unterschiedlichen Segmenten beobachten können: Bei den kleineren Unternehmen sehen wir größere Einschnitte als bei den mittelgroßen und großen Unternehmen. Nicht nur in Österreich, sondern über die Grenzen hinweg. Dasselbe hat man bereits damals in der Finanzkrise gesehen, dass das doch einige Firmen nicht überlebt haben. Ich erwarte aber, dass die gut geführten Unternehmen sich schnell wieder erholen werden.

Haben Sie eine Strategie für die nächsten Jahre? Vor allem im Hinblick darauf, dass manche Kunden wegbrechen könnten?
Ich glaube an weiteres Wachstum. Die Wirtschaft wird sich weiter erholen. Deswegen investieren wir auch weiter und bleiben optimistisch. In Ungarn bauen wir etwa einen neuen Luftzerleger – also eine Anlage, mit der man die Gase direkt aus der Luft holt. Es gibt verschiedene Zukunftsthemen, auf die wir setzen. Nachhaltigkeit und die Bekämpfung des Klimawandels sehen wir als eine wirtschaftliche Chance. Grüner Wasserstoff wird über Elektrolyse aus Wasserkraft hergestellt und wird immer wichtiger für die Mobilität, aber auch für die Industrie. Weltweit ist Linde führend im Bereich der Wasserstofftechnologie. Wir decken als einziges Unternehmen die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette von der Produktion und Aufbereitung über die Distribution und Speicherung bis hin zu täglichen Anwendungen für Industrie und Verbraucher ab. Zusätzlich bieten wir seit zwei Monaten auch andere Produkte in der grünen Variante an. Bei Sauerstoff und Stickstoff waren wir weltweit sogar die Ersten, in dem Fall in Ungarn, die Gase als reine grüne Variante angeboten haben. Für das Trennen der Gase aus der Luft wird sehr viel Strom benötigt. Auch diesen Strom können wir ab jetzt in der erneuerbaren, sauberen Variante einsetzen, um ein grünes Produkt zu erhalten. Die Nachfrage und die Bereitschaft der Kunden, dafür zu zahlen, ist da! Auch bei den Investoren, die natürlich Kapitalmarkt-orientiert sind, haben sich die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel als Priorität herausgestellt. Das ist in meinen Augen ein Wachstumstreiber, wo Europa Vorreiter sein kann und gerade Österreich an der Speerspitze stehen könnte. Und damit ist es ein Wachstums­trend, der uns helfen wird – uns als Linde Gas, aber auch dem Standort Österreich.
Das zweite Thema ist Digitalisierung, auch wenn es vielleicht oft als Buzzword benutzt wird. Wir betreiben Digitalisierung schon seit Jahrzehnten, indem wir unsere Anlagen fernsteuern und auch immer wieder neue Produkte diesbezüglich integrieren. Ein Produkt, auf das wir sehr stolz sind und das federführend in der Industrie ist, ist „Digigas“: Die Flaschenversorgung kann bei Kunden über Sensoren gesteuert werden, das heißt, wir merken, wenn die Flaschen leer sind, und können in der maximalen Ausbaustufe sofort neue Flaschen liefern. Durch die zentrale Steuerung muss der Kunde sich keine Gedanken mehr über die Gasversorgung machen.

Sie sind glühender Optimist! Sehen Sie dennoch auch Schwierigkeiten auf uns zukommen?
Wenn der Winter coronabedingt schwierig wird – was ich nicht hoffe –, könnte das kurzfristig wieder negative Auswirkungen haben. Außerdem muss sich Europa gegenüber dem Rest der Welt behaupten, etwa in der Stahl- und zunehmend in der Automobilindustrie. Das größte Risiko ist sicherlich die wirtschaftliche Gesamtentwicklung, wenn es etwa mehrere Jahre dauern würde, bis ein geeigneter Impfstoff auf dem Markt ist. Aber ich sehe ja, dass wir als Gesellschaft und auch die Regierung mittlerweile viel intelligenter damit umgehen. Am Anfang war es sicher klug, sehr vorsichtig zu reagieren, man wusste ja nicht, was auf uns zukommt. Jetzt weiß man, dass man mit differenziertem Vorgehen und am Ende mit relativ einfachen Maßnahmen den Großteil der Wirtschaft aufrechterhalten kann, ohne die Mitmenschen zu gefährden. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir immer noch Krisen gemeistert haben und in der Lage waren, Wachstumstrends zu erkennen.

In Krisen spielt die Dankbarkeit wieder eine große Rolle. Wofür sind Sie dankbar?
Für all unsere Mitarbeiter! Unter anderem natürlich im medizinischen Bereich: Wir versorgen Krankenhäuser und chronisch lungenkranke Patienten, das heißt, unsere Mitarbeiter waren ähnlich wie das Krankenhauspersonal auch eine Risikogruppe. Die Flaschen, die wir zurückbekommen, könnten auch mit Viren verunreinigt sein. Wir haben sehr strenge und klare Sicherheitsprozesse, und alle Mitarbeiter haben hier gut durchgehalten. Also hier gilt der gesamten Belegschaft ein großer Dank! (LP)


INFO-BOX
Über die Linde Gas GmbH
1914 als Sauerstoff- und Wasserstoffwerk Lambach gegründet, befindet sich seit 1985 der Sitz der Linde Gas GmbH
in Stadl-Paura (Oberösterreich). In der Zentrale und in den Niederlassungen in Wien, Graz, Linz, Eggendorf, Kapfenberg, Klagenfurt und Wörgl sorgen hochqualifizierte ­Spezialisten für optimale Beratung. Mehr als 600 Gase und Gasgemische für etwa 300 Anwendungsgebiete stehen jederzeit zur Verfügung. Als ein führendes Unternehmen in Österreich bietet Linde Gas ein breit gefächertes Sortiment an Gasen für Gewerbe und Industrie, Medizin, Umweltschutz sowie Forschung und Entwicklung an. Zum konventionellen Gastransport in Flaschen und Tanks kommen mit steigender Tendenz On-Site-Versorgungseinrichtungen und ­Rohrleitungsversorgung für Großabnehmer dazu.
Rund 333 Mitarbeiter erwirtschafteten in Österreich im Jahr 2019 einen Umsatz von 181 Mio. Euro.
www.linde-gas.at