Europas Industrie verliert den Anschluss

NEW BUSINESS - NR. 6, JULI/AUGUST 2019
Die größte Zahl der umsatzstärksten Unternehmen stammt aus den USA, gefolgt von Japan und China. © unsplash

Konzerne aus den USA und Asien hängen Europas Großunternehmen bei Umsatz- und Gewinnwachstum ab. OMV, Strabag und voestalpine schaffen es unter die weltweit größten Firmen.

Die Konkurrenz aus den USA und Asien scheint langsam zu groß zu werden für Europas Industrie: Wie eine aktuelle Analyse des Beratungsunternehmens EY zeigt, führen US-Konzerne in puncto Umsatz- und Gewinnwachstum um Längen. Während die größten nordamerikanischen Unternehmen ihren Umsatz im vergangenen Jahr um durchschnittlich 9,0 Prozent steigern konnten, lag das Umsatzwachstum der europäischen Pendants im Schnitt bei nur 4,3 Prozent. Asiens Großunternehmen schafften ein Wachstum von 8,4 Prozent. Und auch beim Gewinnwachstum verlieren Europas Top-Konzerne den Anschluss: Sie konnten 2018 den operativen Gewinn nur um 3,9 Prozent erhöhen, während die US- und asiatischen Konzerne mit 8,1 bzw. 9,8 Prozent mehr als doppelt so stark zulegten.

Deutschland als überraschendes Schlusslicht in Sachen Wachstum
Die mit Abstand größte Zahl der umsatzstärksten Unternehmen stammt aus den USA (299 Unternehmen), gefolgt von Japan (146), China (79), Großbritannien und Frankreich (jeweils 45). Ausgerechnet die deutschen Unternehmen, von denen es 2018 insgesamt 44 ins Ranking der 1.000 umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen der Welt schafften, waren beim Wachstum im vergangenen Jahr weltweit Schlusslicht: Sie konnten ihren Umsatz im Schnitt nur um 1,2 Prozent steigern (Frankreich: 6,8 %; Italien: 5,8 %), der Gewinn sank sogar um zehn Prozent. Keine andere der großen Wirtschaftsnationen verzeichnete im vergangenen Jahr einen Gewinnrückgang bei ihren Top-Konzernen. „Die Top-US-Konzerne sind derzeit in vielen Branchen das Maß der Dinge. Sie profitieren vom großen und prosperierenden Heimatmarkt und von der hervorragenden Entwicklung der US-Technologiekonzerne. Dem hat Europa zurzeit wenig entgegenzusetzen: Das Wirtschaftswachstum schwächelt, viele europäische Unternehmen leiden unter dem Handelsstreit zwischen China und den USA, zahlreiche Konzerne befinden sich in tiefgreifenden Umbruchphasen“, erklärt Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich.

Apple erwirtschaftet den höchsten Gewinn
Wie weit die führenden US-amerikanischen Konzerne vor der europäischen und auch der asiatischen Konkurrenz liegen, zeigt ein Blick auf das Ranking der gewinnstärksten Unternehmen der Welt: Sieben der zehn Unternehmen mit dem höchsten operativen Gewinn haben ihren Sitz in den USA. Mit umgerechnet 60 Milliarden Euro war Apple im vergangenen Jahr Spitzenreiter im Gewinnranking. Der südkoreanische Elektronikkonzern Samsung platzierte sich mit gut 45 Milliarden Euro auf Rang zwei. Auf Rang drei folgt Microsoft mit rund 30 Milliarden Euro. Die gewinnstärksten europäischen Unternehmen waren im vergangenen Jahr drei Ölkonzerne: Royal Dutch Shell auf Rang vier, BP auf Rang 15 und Rosneft auf Rang 19. Das gewinnstärkste europäische Unternehmen, das nicht der Ölbranche zuzuordnen ist, war 2018 der belgische Braukonzern Anheuser-Busch InBev auf Platz 23 (15 Milliarden Euro). Volkswagen belegt im Gewinnranking mit knapp 14 Milliarden Euro Platz 25, im Umsatzranking liegt der Autokonzern weltweit auf dem siebten Platz. Gemessen am Umsatz finden sich mit OMV (Platz 289), STRABAG (463) und voestalpine (564) auch drei Vertreter aus Österreich unter den Top-1.000-Unternehmen der Welt. „Europas Top-Konzerne erwirtschaften deutlich niedrigere Gewinne als die führenden US-Unternehmen“, beobachtet Reimoser. „Gerade die Gewinnstärke der US-Technologieunternehmen ist beeindruckend. Im Durchschnitt bleiben bei US-Konzernen 32 Prozent mehr Gewinn hängen als bei ihren europäischen Wettbewerbern.“

Zu viele Unternehmen aus klassischen Industriebranchen
Hinzu komme ein ungünstiger Branchenmix, so Reimoser: „In Europa sind Unternehmen aus klassischen Indus­triebranchen stark überrepräsentiert: 34 Prozent der europäischen Top-Unternehmen kommen aus der Autoindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau oder der Chemiebranche – in Nordamerika liegt der Industrieanteil nur bei 20 Prozent.“ Gleichzeitig sei der Anteil der IT- und Telekommunikationsunternehmen in den USA mit 18 Prozent fast doppelt so hoch wie in Europa (11 %). „Europa ist ein starker Industriestandort – und gerade die klassischen Indus­triebranchen haben derzeit zu kämpfen“, beobachtet Reimoser. „Hohe Investitionen in die Digitalisierung der Produkte und der Produktion, eine lahmende Weltkonjunktur und eine – angesichts hoher politischer und konjunktureller Risiken – geringe Investitionsbereitschaft aufseiten der Unternehmen bremsen die Entwicklung.“

USA und China als Vorreiter der ­digitalen Wirtschaft
Auf der anderen Seite des Atlantiks und zunehmend auch in China entwickle sich die Technologiesparte zur Leitbranche und lege dabei eine bemerkenswerte Dynamik an den Tag – weitgehend unabhängig von Konjunkturzyklen, so Reimoser. „Die US-Technologiekonzerne treiben Europas Top-Konzerne derzeit vor sich her. Und auch Asiens Großunternehmen gewinnen an Bedeutung. Die USA und China geben in der digitalen Wirtschaft derzeit den Takt vor und setzten Standards und Regeln, nach denen sich zunehmend auch große Player aus anderen Branchen und Ländern richten müssen. Europa hat darauf noch keine Antwort gefunden.”

Pharmabranche mit den höchsten Margen
Die höchsten Margen werden weltweit in der Pharmabranche erzielt: Eine Gewinnmarge von durchschnittlich 21 Prozent erwirtschafteten im vergangenen Jahr die im Ranking vertretenen Pharma- und Biotechkonzerne. Auf dem zweiten Platz folgt die Telekommunikationsbranche mit 14 Prozent. Die niedrigsten Margen erzielen hingegen Lebensmitteleinzelhändler (4 %), die Autoindustrie (7 %) und sonstige Indus­trieunternehmen (8 %). (VM)