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Die Zeit ist reif

NEW BUSINESS - NR. 2, FEBRUAR 2022
In Anbetracht des Fachkräftemangels sind Unternehmen gefordert, geeignete Weiterbildungskonzepte für ältere Mitarbeiter:innen zu entwickeln. © Adobe Stock/Fokussiert

Sie haben Lebenserfahrung, Ausdauer und konkrete Ziele. Vielfach widerlegt, ist die mangelnde Lernbereitschaft und -fähigkeit der sogenannten Best Ager ein gängiges Vorurteil ...

... Dabei können gerade die späteren Berufsjahre zum lehrreichen Abenteuer werden.

Aktives Lernen in Form eines Studiums war bis vor wenigen Jahren vermeintlich noch der jüngeren Generation vorbehalten. Inzwischen mischen sich immer mehr Lernwillige über 50 Jahre unter ihre Kommilitonen. Für sie handelt es sich dabei aber keineswegs um ein „Seniorenstudium“, „Studium Generale“ oder „Gasthörerstudium“, wie es lange Zeit für ältere Studieninteressierte bezeichnet wurde.

Die Generation 50+ verfolgt mit einem Studium konkrete Ziele wie berufliches Vorankommen oder nochmal eine Umorientierung in den letzten Jahren bis zur Pension. Doch oft wird gerade dieser Generation nachgesagt, dass sie sich mit dem Erlernen von neuen Inhalten schwerer tut als die Jüngeren. Ist dem wirklich so? 

Fakt ist: Jeder Mensch ist anders und jeder Mensch lernt auch anders. Davon ist Frauke Kempner, Fachdozentin für Digital Education und Leadership an der SRH Fernhochschule überzeugt. „Während der eine gut auswendig lernen kann, muss sich der andere die Inhalte eines Textes schriftlich selbst zusammenfassen, mit Textmarkern arbeiten oder auch Kommentare und Merkhilfen an den Rand schreiben. Das hat grundsätzlich nichts mit einer Generationen- oder Alterszugehörigkeit zu tun, aber es lassen sich durchaus Unterschiede im Generationenlernen beobachten.“

Lern-Snacks – das „Brain (Fast) Food“ der jüngeren Generationen
„Diese Unterschiede lassen sich recht gut an dem Wort ‚Information‘ festmachen“, erklärt Kempner. „Die jüngere Generation hat oftmals das Problem des Informationsoverflow. Ständig ploppen WhatsApp- oder TikTok-Benachrichtigungen auf, das Warten auf den Bus muss bei Instagram genauso gepostet werden wie der Bad-Hair-Day. Das führt dazu, dass das Gehirn schnell mit Informationen überladen ist, die wenig Platz für Neues lassen. Dies macht sich besonders dann bemerkbar, wenn Lernstoff, z. B. für eine Prüfung, über einen längeren Zeitraum gemerkt werden muss.“ Aus diesem Grund ist bei der jüngeren Generation das Lernen über mehrere Stunden, inklusive dem Abschotten im eigenen Zimmer, kaum noch en vogue.

Vielmehr sollte der Lernstoff in überschaubare Happen gegliedert sein, möglichst viele Sinne gleichzeitig ansprechen und Informationen auf das Nötigste reduzieren. Lernerfolge müssen schnell sichtbar sein, sonst ist es mit dem Interesse oder auch der Disziplin beim Lernen schnell vorbei. Dazu gehört auch, dass der Lernstoff seitens des Lehrpersonals ansprechend aufbereitet sein muss.

Strukturierte Lernpfade, einzelne Module und kleine Schritte, schnelle Erfolge und einfache Sprache sind Elemente, die gerade bei der jüngeren Generation dafür sorgen, dass Wissen und Inhalte förmlich nebenbei erlernt werden können und somit keinen Stress verursachen. Handelt es sich um größere und komplexere Inhalte, so wird auch häufig die Taktik des Auswendiglernens angewandt, ohne Sinn und Inhalt zu verstehen. Ganz nach dem Motto: Vier gewinnt! Es reicht, um die Prüfung zu bestehen.

Lernen als Komplettmenü
Ältere Studierende setzen demgegenüber auf konservative Lernmethoden. Dazu gehört z. B. das Aufschreiben von Vokabeln, das Hinterfragen von Inhalten und Fremdwörtern, wenn Sie etwas nicht verstehen, oder die penible Auseinandersetzung mit Regeln und Theorien. Sie wollen das System hinter den Fachinhalten verstehen und sich nicht mit „das ist nun mal so“ abspeisen lassen. Das kostet in der Regel Zeit und das Lernen dauert somit länger. Deshalb wird sich gerade bei der Generation 50+ „Zeit zum Lernen“ genommen.

„Lernen ist für diese Generation ein Luxusgut“, so die Fachdozentin. „Meistens verbindet sie damit ein konkretes Ziel. Das kann das berufliche Vorankommen in den letzten Jahren bis zur Pension, ein persönliches Interesse für Fächer, die man als junger Mensch vielleicht nicht studieren wollte oder konnte, oder tatsächlich nochmal die berufliche Umorientierung sein. Die Kinder sind aus dem Haus, Kredite sind abbezahlt, nach 30 Jahren im Beruf möchte man vielleicht noch mal was anderes machen oder ist sogar aus gesundheitlichen Gründen dazu gezwungen.“

Studierende 50+ haben mehr als die jüngere Generation den Anspruch, das Gelernte direkt in die Praxis zu übertragen. Zu lernende oder neue Inhalte versuchen sie im Gegensatz zur jüngeren Generation mit Erfahrungen aus dem eigenen Berufsleben zu verknüpfen. Bei einer neuen Theorie wird sofort überlegt, wo ihnen das Phänomen bereits im Alltag begegnet ist.

Wer lernt besser, 50– oder 50+?
„Dass sich die ältere Generation im Lernen schwerer tut, halte ich für einen Irrglauben“, resümiert Kempner. „Vielmehr lässt sich hinterfragen, was die jüngere Generation gerade in dieser Hinsicht noch von den Älteren lernen kann. Ich denke da an Faktoren wie Durchhalte­vermögen, Geduld oder kritisches Denken. In Vorlesungen freue ich mich über jeden älteren Teilnehmenden, der aus der beruflichen Praxis komplexe Theorien mit eigenen Beispielen anreichert und anderen, jüngeren Studierenden damit zugänglicher machen kann“, so die Dozentin.

Die jüngere Generation muss vielfach erst lernen zu lernen. Dies geschieht nicht mal eben so nebenbei, durch YouTube-Videos, Learning-Snacks und Auswendiglernen im Bus.
Lebenslanges Lernen ist kein Produkt, sondern ein Prozess, welcher gerade in unserer Gesellschaft ein großes Luxusgut darstellt und auch genauso gesehen werden sollte. 

Demografischer Wandel am Arbeitsmarkt
Ein wichtiger Indikator für die zunehmende Bedeutung der Weiterbildung 50+ ist der demografische Wandel, denn ein immer größerer Teil der Bevölkerung besteht aus älteren Menschen. Der Grund dafür ist, dass immer weniger Kinder zur Welt kommen, während die Menschen gleichzeitig immer älter werden. Zahlreiche Berechnungen gehen davon aus, dass in wenigen Jahren fast die Hälfte der Arbeitskräfte über 40 Jahre alt sein wird.

„Im Jahresdurchschnitt 2021 waren 1,1 Millionen der unselbstständig Beschäftigten 50 Jahre und älter, das sind 29 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten“, informiert Mathieu Völker, Pressesprecher des österreichischen Arbeitsmarktservice AMS. „Der Anteil an den vorgemerkten Arbeitslosen betrug 33 Prozent, rund 111.000 dieser Altersgruppe waren 2021 arbeitslos vorgemerkt. Seit dem Jahr 2010 hat sich in dieser Altersgruppe die Arbeitslosigkeit mehr als verdoppelt, die Beschäftigung jedoch liegt um zwei Drittel über dem Niveau von 2010. Während die Beschäftigung junger Menschen zurückgeht, stieg sie seit 2010 in der Altersgruppe der 25- bis 49-Jährigen nur wenig.“

Ältere Beschäftigte sind für die Wirtschaft unverzichtbar
Die Weiterbildung dieser Altersgruppe wird auch beim AMS als wichtige Maßnahme eingestuft, denn ältere Arbeitnehmer sind für die österreichische Wirtschaft vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung unverzichtbar. „Weiterbildung stellt zwar prinzipiell für alle Altersgruppen eine Notwendigkeit dar, für die Altersgruppe 50+ ist sie aber auch deswegen wichtig, weil mit zunehmendem Alter körperliche Beeinträchtigungen oder lang andauernde psychische Belastungen die bisherige berufliche Tätigkeit erschweren können und eine Umschulung nahelegen könnten“, so Völker.

„Tendenziell werden ältere Arbeitnehmer:innen am Arbeitsplatz weniger einbezogen, was auch dazu führt, dass sie weniger Weiterbildungen erfahren. Auch in Anbetracht des aktuellen Fachkräftemangels ist Betrieben anzuraten, gemeinsam mit ihren älteren Mitarbeiter:innen passende Weiterbildungskonzepte zu entwickeln, um sie als Arbeitskräfte erhalten zu können.“

In diesem Zusammenhang stellen ältere Arbeitskräfte beim AMS eine besondere Zielgruppe dar, die auch gezielt gefördert wird. „Besonders zu erwähnen ist hier die ‚Qualifizierungsförderung für Beschäftigte‘, die sich speziell der Personengruppe der Arbeitskräfte ab 45 widmet“, erklärt Völker. „Bei dieser Förderung werden 50 Prozent der Kurskosten sowie ab der 25. Kursstunde 50 Prozent der Personalkosten übernommen.“

Reife Leistung
Auf der Suche nach der lebendigen Freude am lebenslangen Lernen sind wir auf Eva und Andreas Hasler gestoßen. Das Ehepaar hat gemeinsam schon vieles gemeistert. 36 Jahre Beziehung, drei erwachsene Kinder und anspruchsvolle Jobs. Mit Mitte 50 haben beide an der FH Burgenland ein Masterstudium absolviert. Eva Hasler, seit 20 Jahren als Selbstständige in der IT-Branche tätig, studierte „Business Process Engineering & Management“. Andreas Hasler, in der Finanzbranche tätig, absolvierte den Masterstudiengang „Cloud Computing Engineering“.

Der gemeinsamen Sponsion auf Schloss Esterházy machte Corona zwar einen Strich durch die Rechnung, dennoch: „Die Studienzeit war spannend und abwechslungsreich. Mein Mann und ich haben es genossen, in unserem Wochenendzimmer im Studierendenheim eine Auszeit vom Alltag zu bekommen“, erinnert sich Eva Hasler. Für sie vergingen die zwei Jahre wie im Flug, auch wenn es nicht immer leicht war. „Die Abschlussarbeit war schon wirklich ein großer Brocken“, beschreibt sie. „Wir haben es beide auch sehr ernst genommen und uns viel Mühe gegeben“. Spannend war für die dreifache Mutter auch, „dass wir ganz anders mit unseren Kindern über Schule und Studium sprechen konnten – alle aus derselben Perspektive als Lernende.“

Für Andreas Hasler hat sich das Studium vor allem inhaltlich bezahlt gemacht. „Ich bin für den Onlineauftritt der Firma verantwortlich und kann nun viel aktuelles und neu gewonnenes Wissen aus dem Bereich Cloud-Computing in meine Arbeit integrieren.“ Fasziniert habe ihn auch, von den jungen Studienkolleginnen und -kollegen so gut akzeptiert worden zu sein. „Ein Studium hält jung, das ist klar.“ (BO)


INFO-BOX
Wie sie Ältere Mitarbeitende erfolgreich weiterbilden

Betonen Sie die Bedeutung von älteren Beschäftigten für das Unternehmen
Viele Ältere haben das Gefühl, dass sich Weiterbildung in ihrem Alter nicht mehr lohnt. Machen Sie Ihren Beschäftigten klar, dass sie auch bzw. gerade in einem fortgeschrittenen Alter von großer Bedeutung für Ihr Unternehmen sind.

Zeigen Sie die persönlichen Vorteile einer Weiterbildung auf
Haben ältere Mitarbeitende das Gefühl, auch persönlich von der Weiterbildung zu profitieren, fördert das deren Motivation. Beziehen Sie die Best Ager in die Auswahl der gewünschten Weiterbildung mit ein und lassen Sie sie mitentscheiden, welche Kompetenzen sie sich aneignen möchten.

Bauen Sie Hürden ab
Haben ältere Mitarbeitende Befürchtungen, die Weiterbildung nicht zu schaffen, lehnen Sie das Angebot vielleicht ab. Zum Beispiel, weil sie sich nicht mit den digitalen Technologien auskennen, die für die Durchführung benötigt werden. Oder weil sie gerade zu viel zu tun haben. Sorgen Sie im Vorfeld der Weiterbildung dafür, dass der Teilnahme nichts entgegensteht. 

Bieten Sie Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch
Zertifikate sind älteren Beschäftigten nicht mehr so wichtig wie Jüngeren. Stattdessen sind sie viel eher an wirklicher Lernerfahrung, einem angemessenen Lerntempo und dem Austausch mit Jüngeren interessiert. Bilden Sie Lern­tandems zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitenden und geben Sie allen die Chance, sich neue Lerntechniken anzueignen.

Sprechen Sie gezielt ältere Beschäftigte mit einer eher geringen Vorbildung an
Diese Mitarbeitergruppe muss häufig stärker zu einer Weiterbildung motiviert werden als jene mit einer höheren Vorbildung. Dabei gilt es, gezielt zu besprechen, an welchem Punkt angesetzt werden kann, um ein gemeinsam festgelegtes Ziel zu erreichen.

Quelle: KOFA (Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung)