Wie Sie das Feuer in Ihren Mitarbeitern entfachen

NEW BUSINESS - NR. 12, DEZEMBER 2022
»Wir müssen umdenken und wieder mehr Menschlichkeit zeigen, uns wirklich bewusst um die Menschen kümmern.« © Jessica Lackner

Bei der achten HR Inside Summit begeisterte Jessica Lackner ein riesiges Publikum. Wir haben die Speakerin, Autorin und Business-️Coach unter vier virtuellen Augen gesprochen.

Als Fixpunkt der deutschsprachigen HR-Szene ging der HR Inside Summit in der Wiener Hofburg am 12. und 13. Oktober zum achten Mal über die Bühne. Wie jedes Jahr sprachen Branchenexperten, aber auch Trendforscher und Top-Manager über die neuesten Entwicklungen am Arbeitsmarkt. Das größte HR-Event der DACH Region zog auch dieses Jahr wieder alle Register und bot den Interessierten jede Menge Input, aber auch Möglichkeit sich auszutauschen und zu netzwerken.

Mehr als 2.300 Teilnehmende tummelten sich zwischen der 3.500 m2 großen Netzwerkmesse, den zahlreichen spannenden Sessions und Pop-up-Workshops. Unter der Moderation von Christian Clerici betraten spannende Experten und Top-Speaker die große Keynote-Bühne des Festsaales. Unter anderem Speakerin und Autorin Jessica Lackner, die wir im Vorfeld zum Gespräch bitten durften.

Frau Lackner, Sie haben Ihre berufliche Laufbahn in der Gastronomie begonnen. Wie ist es dazu gekommen und inwiefern hat Sie das geprägt?
Eigentlich war es nicht mein vorrangiger Plan, in die Gastronomie zu gehen. Ich wollte hinaus in die weite Welt und das eventuell im Bereich Hotellerie in die Tat umsetzen, weswegen ich dann auch die Hotelfachschule in Salzburg besucht habe. Mit 21 Jahren weiß man aber meistens noch nicht so richtig, was man wirklich will. Zumindest war das bei mir der Fall. Über meinen Vater, der ebenfalls in der Gastronomie tätig ist, habe ich dann das Angebot bekommen, eine eigene Gastronomie zu führen und aufzubauen, woraus im Endeffekt drei Gastrobetriebe im Strandbad Wannsee entstanden sind. 

Der buchstäbliche Sprung ins kalte Wasser, nicht wahr?
Absolut. Innerhalb von zwei Wochen habe ich meinen Job in München gekündigt und bin mit Sack und Pack nach Berlin gezogen. Damals standen wir kurz vor der Fußball-WM 2006. Drei Monate blauer Himmel, 30 Grad und unfassbar viel Arbeit für die Gastro. Mein Vater stellte mich dann der 30-köpfigen Mannschaft als neue Chefin vor, doch anfangs wurde ich nicht wirklich ernst genommen.

Mein Vorteil war aber, dass ich keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, weil wir einfach unfassbar viel zu tun hatten. 10.000 Gäste jeden Tag. Die nächste Herausforderung in dieser Gesamtsituation war, dass es einfach viel zu wenig bis gar keine Fachkräfte gab, weil zu dieser Zeit ganz Deutschland die besten Leute haben wollte. 

Wie sind Sie damit umgegangen?
Am Anfang habe ich mich damit arrangiert und in meinem Hamsterrad für drei gearbeitet. Irgendwann kam ich dann aber zu dem Punkt, an dem ich erkannte, dass hier etwas völlig falsch läuft. Die nächsten zehn Jahre, sieben Tage die Woche Gewehr bei Fuß zu stehen, kam für mich auf lange Sicht nicht in Frage. Nur, wir kennen das alle: Wir wissen relativ schnell, was wir nicht mehr wollen, aber wir beschäftigen uns selten mit der Frage, wie man es tatsächlich haben will.

Dann hatte ich ein einschlagendes Erlebnis beim Friseur. Eine Kundin neben mir ist dermaßen über ihren Vorgesetzten hergezogen, dass ich mir einige Frage gestellt habe: Was sollen meine Leute über mich erzählen? Wie kann ich es schaffen, dass sie positiv über mich sprechen? Und wie kriege ich es hin, mir ein Team aufzubauen, das gerne zur Arbeit kommt? 

Ich habe erkannt, dass Markenbotschafter in beiden Richtungen funktionieren – in die positive sowie in die negative und dass man selbst in der Lage ist, das zu steuern. So habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass meine Leute Folgendes über den Betrieb sagen sollen: Bei uns ist es cool, wir werden integriert, wir haben eine gemeinsame Vision, wir werden nicht alleine gelassen, ich werde unterstützt, ich muss gar nicht alles können, da ist immer jemand an meiner Seite, der meine Talente und Potenziale fördert. So und nicht anders wollte ich es haben.

Ist Ihnen das gelungen?
Da ich ja lange keine Fachkräfte fand, hatte ich nur noch Schüler, Studenten und andere Quereinsteiger zur Auswahl. Die habe ich dann eben auch genommen. Und genau mit ihnen habe ich tolle Erfahrungen gemacht, weil sie unvoreingenommen waren. Von erfahrenen Fachkräften habe ich nämlich oft folgendes gehört: „Was willst du mir denn jetzt erzählen? Ich bin schon seit 20 Jahren in der Gastronomie. Ich weiß wie es funktioniert.“

Das lässt wenig Raum für Veränderung.
Genau, aber dafür muss man sich auch als Führungskraft oft selbst an der Nase nehmen. Ich habe lange Zeit dazu geneigt, zu meinen, schon im Vorfeld zu wissen, was passiert, und den Leuten zu sagen, macht es bloß nicht so, weil dann das und das passiert. Und die Leute fangen dann aber gar nicht an, selbstständig zu denken, sondern nur Anweisungen zu folgen. Ich nenne das immer Helikopter-Führungskraft.

Folgendes Zitat von Steve Jobs trifft diese Problematik sehr gut: „Wir stellen ja keine klugen Leute ein, damit wir ihnen sagen, was sie zu tun haben, sondern wir stellen kluge Leute ein, damit sie uns zeigen, wie es besser gehen kann.“ Und diese Erfahrung habe ich auch gemacht und mich eins zu eins wiedergefunden.

Wie heißt es so schön: Die Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Trifft das auch auf Sie zu?
Ja schon. Irgendwann habe ich meine „Blase“ verlassen und meine Leute gefragt: Was ist denn so Trend in Berlin? Was mögen denn die Gäste gerne? Was trinkt man denn heute so am Strand? Und meine Leute haben mir dann erzählt, okay, lass uns das mal ausprobieren, den Burger oder das mal so, das ist voll trendy.

Am Anfang hätte ich immer gesagt nein, das können wir nicht umsetzen, weil dafür müssen wir die Strukturen wieder ändern. So habe ich sie dann aber einfach machen lassen und gesagt, okay, wir nehmen es mal mit auf die Karte. Wenn es nicht läuft, dann läuft es eben nicht, dann machen wir wieder was Neues. Ist egal. Aber diese Begeisterung bei den Leuten zu entfachen, darum geht es, eine Vision zu kreieren.

In konservativen Branchen mit alteingesessenen Strukturen stelle ich mir eine solche Vorgehensweise aber deutlich schwieriger vor.
Das ist tatsächlich ein interessanter Punkt. Es ist ja in der Regel so, dass Mitarbeiter relativ schnell zu begeistern sind. Wenn die oberen Hierarchieebenen aber eine andere Denkweise haben, funktioniert das Ganze natürlich nicht. Ich habe das erst neulich bei einem Unternehmen beobachtet. Die Mitarbeiter waren total begeistert, offen für etwas Neues und wollten einfach ausprobieren. Ganz oben die Chefetage konnte aber nicht mal eine Vision für die nächsten Jahre vorgeben und damit auch keine Werte.

Die Führungskräfte, die da manchmal dazwischen stehen, kriegen ja oft selbst starken Druck von oben. Nach dem Motto: „Wir haben jetzt Corona, wir haben jetzt Inflation und was jetzt alles kommt. Wir müssen verkaufen, sonst sind wir tot.“ Dieser Druck wird dann nach unten weitergegeben. Die Mitarbeiter werden immer unzufriedener und fangen an, innerlich zu kündigen. Dann haben sie keine Motivation mehr und sagen, ich mache jetzt Dienst nach Vorschrift und schaue mich schon mal um, was es sonst noch so gibt. Ich sitze am längeren Hebel, es gibt ja genug Auswahl.

Genau aus diesem Grund sind viele Personalprobleme meiner Ansicht nach hausgemacht, denn die Fachkräfte sind ja nicht verschwunden, sie suchen sich nur etwas anderes, das sie mehr erfüllt, wo sie sich besser aufgehoben und verstanden fühlen – vielleicht als Quereinsteiger.

Es fehlt also nicht an Fachkräften, sondern an „Machkräften.“ Wir brauchen mehr Führungskräfte, die diesen Spirit, die Begeisterung bei ihren Mitarbeitern entfachen, damit sie eben nicht gehen. „Machkräfte“ übernehmen sozusagen die Rolle eines Coaches, die den Druck von oben kanalisieren und genau überlegen, wem sie den Ball zuspielen. Derjenige muss dann natürlich aber auch wieder von der „Machkraft“ unterstützt und gefördert werden. Das ist wie bei Kindern. Wenn wir die nicht unterstützen und fördern haben sie keine Lust mehr und fangen an zu rebellieren. Bei Mitarbeitern ist das nicht anders.

„Machkraft“ zu sein, klingt nach einer schwierigen Aufgabe. Ist dies erlernbar?
Ja, also ich habe es gelernt und ich glaube, man kann es lernen. Vielleicht nicht von heute auf morgen. Es geht vor allem um Menschlichkeit und gegenseitige Unterstützung. Bei uns im Betrieb gilt zum Beispiel das Credo: „Viele Hände, schnelles Ende.“ Sprich, wenn alle loyal sind und an einem Strang ziehen, kommen auch alle schneller zum Ziel.

Es sollten immer alle miteinbezogen werden, mitentscheiden und Ideen einbringen dürfen. Das gibt den Mitarbeitern auch das Gefühl, es kommt von ihnen und nicht von der Chefetage. Wenn Führungskräfte für sich selbst einmal die Entscheidung getroffen haben, okay, ich will das so, ich lebe das auch zu 100 Prozent jeden Tag, egal ob ich Kopfschmerzen habe, dann funktioniert es auch nach einer Zeit. 

Ich denke auch, dass in vielen Fällen an den falschen Stellen gespart wird. Erst gibt man einen Haufen Geld für Recrui­ting-Softwaresysteme aus, und wenn die Person gefunden und im Unternehmen ist, wird sie sich selbst überlassen. All die neuen Methoden und Strategien, die retten uns nicht, sondern wir müssen umdenken und wieder mehr Menschlichkeit zeigen, uns wirklich bewusst um die Menschen kümmern. Fragen, was willst du und was brauchst du dazu? Und ihnen dann auch das Gefühl geben, du darfst jetzt ehrlich antworten. (BO)