Geschulte Augen für die Wirtschaft

NEW BUSINESS - NR. 1, FEBRUAR 2021
Ein einmaliger Schulterschluss ermöglicht die ­Gründung der „Stiftung für ­Wirtschafts­bildung“ © Gerd Altmann/Pixabay

Kenntnisse über Funktionsweisen der Wirtschaft sind in der heimischen Bevölkerung erschreckend gering. Eine Initiative setzt sich nun für die Stärkung des ökonomischen Allgemeinwissens ein.

Wirtschafts- und Finanzbildung gilt als eine der Schlüsselqualifikationen und muss deshalb ein zentraler Bildungsinhalt im 21. Jahrhundert sein. Jede und jeder soll befähigt sein, mündig, eigenständig, verantwortungsbewusst und kompetent an der Entwicklung und Gestaltung der Wirtschaft – und damit der Gesellschaft insgesamt – mitzuwirken. Allerdings besteht beim Wissen der Österreicherinnen und Österreicher über Grundbegriffe und Funktionsweisen des Finanz- und Wirtschaftslebens deutlicher Handlungsbedarf. Das gemeinsame Anliegen, Wirtschaftsbildung als zentralen Bildungsinhalt in Österreich zu verankern, lässt aktuell die Arbeiterkammer, die ERSTE Stiftung, die Industriellenvereinigung, die Innovationsstiftung für Bildung, die MEGA Bildungsstiftung, die Österreichische Nationalbank sowie die Wirtschaftskammer Österreich zusammen aktiv werden: In einem noch nie dagewesenen Schulterschluss mobilisieren und bündeln die sieben Partnerorganisationen Ressourcen zur Stärkung einer breiten wirtschaftlichen Allgemeinbildung in Österreich und gründen gemeinsam die „Stiftung für Wirtschaftsbildung“.
Tatsache ist: Es besteht Handlungsbedarf beim Zukunftsthema Wirtschaftsbildung in Österreich, denn der Wissensstand über Grundbegriffe und Funktionsweisen des Finanz- und Wirtschaftslebens in der österreichischen Bevölkerung ist erschreckend niedrig. Diesen Befund bestätigen auch wissenschaftliche Status-quo-Erhebungen. Das erklärte Ziel der neu gegründeten Stiftung für Wirtschaftsbildung ist deshalb die langfristig wirksame, systemische Verankerung von wirtschaftlichen Bildungsinhalten in der schulischen und außerschulischen Allgemeinbildung. Dabei setzt man auf enge Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium, um aktuelle Entwicklungen bezüglich Lehrplänen und Unterrichts­prin­zi­pien miteinfließen zu lassen, und widmet sich gemeinsam großen Fragen wie: Was braucht es, um die schulische und außerschulische Wirtschaftsbildung der Österreicherinnen und Österreicher zu stärken? Welches Wissen und welche Fähigkeiten sollten Schülerinnen und Schüler haben, um alltägliche Lebenssituationen in wirtschaftlicher Hinsicht besser beurteilen und erfolgreich bewältigen zu können? Wie kann erreicht werden, dass Schülerinnen und Schüler mit mehr praktischer Wirtschaftsbildung aus dem Schulsystem gehen? Wie kommen diese Ansätze in unser Bildungssystem?

Breiter partnerschaftlicher Schulterschluss garantiert wirksame Allianz
Dabei ist aber auch klar: Die Wirkung im System wird nur durch eine starke Zusammenarbeit erzielt. Den sieben Gründungspartnern ist in ihrem gemeinsamen Schulterschluss eine beispielgebende Allianz gelungen, welche durch die Stärke der Partner und eine enge Kooperation die nötige Kraft mit sich bringt, das Thema Wirtschaftsbildung im Bildungssystem wirksam voranzubringen. Durch die Vielfalt der Perspektiven der sieben Gründungspartner ist eine nachhaltige institutionelle Trägerschaft ebenso sichergestellt wie eine große inhaltliche Breite. Zudem bündeln die Partner künftig in einer beispielgebenden, organisationsübergreifenden Zusammenarbeit ihre bestehenden Aktivitäten zum Thema, mit dem Ziel, eine umfassende Wirtschaftsbildungsplattform zu schaffen.
Die Stiftung für Wirtschaftsbildung ist vorerst über eine Laufzeit von drei Jahren mit jährlich je 1,4 Mio. Euro dotiert, damit stehen in den ersten drei Jahren insgesamt 4,2 Mio. Euro für zielgerichtete Aktivitäten zur Verfügung. Darüber hinaus besteht bereits jetzt die Option auf die Verlängerung der Tätigkeit der Stiftung um weitere drei Jahre. Mit der erfolgten Gründung der Stiftung für Wirtschaftsbildung formieren sich jetzt das Vorstandsteam und die operative Leitung der Stiftung, um unmittelbar per Anfang 2021 ihre Arbeit aufzunehmen. Damit starten auch die ersten Aktivitäten der Stiftung inklusive einer Konkretisierung des Arbeitsprogramms.
Im Arbeitsprogramm der Stiftung fokussiert man auf drei Bereiche: die Verankerung im regulären Bildungssystem, Unterstützungsmaßnahmen für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Bewusstseinsbildung auf relevanten Stakeholder-Ebenen. Es ist u. a. die Ausschreibung von Fördermitteln für Schulen und andere relevante Stakeholder sowie die Vernetzung von Stakeholder-Gruppen vorgesehen. Die Testung und die Evaluierung von Ansätzen zur evidenzbasierten Verankerung im Schulsystem werden ebenso eine entscheidende Rolle spielen wie Ansätze zur inhaltlichen Ausgestaltung. Auch Unterstützungsmaßnahmen für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Aktivitäten zur Einbindung und Vernetzung von Stakeholdern und Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung für die Bedeutung des Wissens zu Finanz- und Wirtschaftsthemen in der breiten Öffentlichkeit sind Teil der ambitionierten Vorhaben der Stiftung für Wirtschaftsbildung.
Für die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung für Wirtschaftsbildung, welche die sieben Gründungspartner repräsentieren und mit Beginn des Jahres 2021 ihre Funktion aufnehmen, ist es ein wichtiges und ermutigendes Signal, dass das Bildungsministerium, vertreten durch Bildungsminister Heinz Faßmann, die Gründung der Stiftung sowie deren Ausrichtung und Ziele gutheißt und ausdrücklich befürwortet.

SIEBEN PARTNER – EIN ZIEL

„Aktiver Teil der Gesellschaft“
AK-Präsidentin Renate Anderl hat beim Thema Wirtschaftsbildung neben den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen besonders die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick: „Wirtschaft ist ein abstrakter Begriff. Uns ist es wichtig, dass junge Menschen möglichst früh ein breites Verständnis von Wirtschaft haben und sich als Teil der Wirtschaft verstehen: als KonsumentInnen, als ArbeitnehmerInnen oder vielleicht auch einmal als UnternehmerInnen. Dabei geht es einerseits darum, die eigene Rolle in der Gesellschaft zu verstehen, und andererseits in der Lage zu sein, mitzugestalten und somit ein aktiver Teil der Gesellschaft zu sein. Sie sollen auch verstehen, dass ‚die Wirtschaft‘ nicht naturgegeben ist, sondern dass man sie gestalten kann, dass man Dinge ändern kann, wenn sie schieflaufen – und dass sie selbst das auch in der Hand haben.“

„Wirtschaftswissen auf spielerische Art“
ERSTE Stiftung Aufsichtsratspräsident Andreas Treichl verweist auf die langjährigen eigenen Erfahrungen mit dem Thema. „In der Zweiten Sparkasse helfen ehrenamtliche Mitarbeiter seit 14 Jahren Menschen, die in finanziellen Schwierigkeiten sind. Viele dieser Menschen hätten mit mehr Finanzwissen dieser Entwicklung besser gegensteuern können. Mit dem Financial Life Park haben wir bewiesen, dass die Vermittlung von finanziellem Know-how und wirtschaftlichen Zusammenhängen spielerisch möglich ist und Spaß machen kann. Diese Erfahrungen möchten wir hier ebenso einbringen wie darüber hinausgehende Expertise und Impulse, damit alle Kinder in Österreich künftig in der Schule lernen, was man über Wirtschaft und Finanzen wissen sollte. Deren Zusammenhänge zu verstehen, kann wesentlich darüber entscheiden, wie man im Leben mit Problemen und Überraschungen zurechtkommt.“

„Vorbereitung auf ein erfolgreiches Leben als Unternehmer“
Für Georg Knill, Präsident der Indus­triellenvereinigung, steht die Stärkung und Verankerung einer breiten und lebensweltbezogenen Wirtschafts- und Finanzbildung als Teil der Allgemeinbildung im Fokus. „Wer in Österreich die Pflichtschule abschließt, soll das in Zukunft nicht ohne grundlegendes Wissen rund um das Thema Wirtschaft tun. Was ist der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn, Brutto und Netto, Export und Import? Was sind Zinsen? All das – und noch mehr – ist in unserer modernen Gesellschaft wichtiger Bestandteil einer umfassenden Vorbereitung auf ein erfolgreiches Leben als mündiger Bürger oder zukünftiger Unternehmer.“

„Wir alle sind ein Teil der Wirtschaft“
Für Günter Thumser, Vorsitzender des Stiftungsrats der Innovationsstiftung für Bildung, ist klar, dass die Verankerung eines derart wichtigen Zukunftsthema ein festes Fundament und eine breite Basis braucht. „Ich freue mich darauf, gemeinsam mit den Partnern viel Neues zu entwickeln, mit einer entsprechenden Evaluierung zu begleiten und so die Wirksamkeit abzusichern. Mitentscheidend wird sein, die Pädagoginnen und Pädagogen zu unterstützen, ihnen auch zusätzliches Wissen und neuartige Vermittlungskompetenz an die Hand zu geben, damit in Zukunft alle Schülerinnen und Schüler mit einem grundlegenden wirtschaftlichen Verständnis ihren Lebensweg selbstständig, mündig und verantwortungsbewusst als Teil der Wirtschaft beschreiten. Denn wir alle sind ein Teil der Wirtschaft.“

„Wirtschaftliche Talente entfalten“
Für Mariella Schurz, Beirätin der MEGA Bildungsstiftung, steht fest, dass es bei den Themen Geld und Finanzen sowie wirtschaftliche Zusammenhänge deutliche Defizite bei jungen Menschen gibt – und diese Defizite machen sich dann im späteren Leben massiv bemerkbar. „Wie sollen junge Menschen wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, wenn ihnen die dafür nötige Bildungsbasis fehlt? Der Schulunterricht bereitet junge Menschen wenig auf das echte Leben vor, sie sind dabei von engagierten Eltern abhängig oder bleiben auf der Strecke. In diesem Zusammenhang ist mir das Thema Chancenfairness besonders wichtig, und Fairness beginnt bei der Bildung: Wer sich durch die Schule gut mit wirtschaftlichen Fragen auskennt, der nützt auch seine Chancen in Zukunft weitaus besser und kann so seine wirtschaftlichen und auch andere Talente entfalten.“

„Nachhaltige Etablierung der ­Finanzbildung im Schulunterricht“
Robert Holzmann, Gouverneur der Oes­ter­reichischen Nationalbank, erklärt: „Die Oesterreichische Nationalbank als unabhängige Expertenorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Finanzbildung in Österreich zu stärken. Mit dem praxisbewährten Programm Eurologisch bietet die Nationalbank bereits seit vielen Jahren zahlreiche evidenzbasierte Maßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen an. Die Zusammenarbeit mit weiteren öffentlichen und privatwirtschaftlichen Organisationen im Rahmen dieser Stiftung war daher eine naheliegende Entscheidung, um das Ziel einer nachhaltigen Etablierung der Finanzbildung im Schulunterricht zu erreichen.“

„Je früher man beginnt, umso besser wird man“
Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, erklärt die Beweggründe für die Mitarbeit an der Stiftung für Wirtschaftsbildung mit einem klaren Bekenntnis: „In der Wirtschaft gilt wie beim Fußball oder Skifahren: Je früher man beginnt, umso besser wird man. Wir brauchen exzellent ausgebildeten und topmotivierten Nachwuchs in Österreich. Deshalb engagiert sich die Wirtschaftskammer Österreich intensiv, um die Wirtschafts- und Finanzkompetenzen schon in den Schulen und bei den Jugendlichen zu stärken. Wir alle sind Wirtschaft und stehen ständig vor Entscheidungen, sei es als Kundin und Kunde, als Mitarbeiter und Mitarbeiterin oder als Unternehmerin und Unternehmer. Alle Österreicherinnen und Österreicher sollen im Wirtschaftsleben tragfähige Entscheidungen treffen können – eigenverantwortlich und gut informiert. Deshalb unterstützen wir die Ziele der Stiftung mit ganzer Kraft.“ (BO)