Jeder muss sich transformieren

NEW BUSINESS Innovations - NR.11, DEZEMBER 2020/JÄNNER 2021
Nahed Hatahet, Transformationseexperte und Firmengründer © RNF

Digitalisierung bedeutet Transformation. Aber es sind auch die Menschen, die sich wandeln müssen, nicht nur die Technologien. Eines bedingt das andere ...

... wie Transformationsexperte Nahed Hatahet im Interview betont.

Erfahrung kommt vom Erfahren. „Immer wenn ich auf die Schnauze gefallen bin, habe ich daraus etwas gelernt“, sagt Nahed Hatahet. Dieses erlernte und erlebte Wissen will der Transformations-Profi und Gründer der erfolgreichen Softwareberatungsfirma HATAHET productivity solutions jetzt weitergeben. Deswegen erfindet – oder transformiert – er sich neu und fängt als Coach, Mentor, Moderator und Speaker wieder von vorne an. Wobei: Von vorne trifft es nicht ganz. Denn er kann auf 25 Jahre Erfahrung zurückgreifen, in denen er nicht nur „auf die Schnauze gefallen“, sondern durchaus auch sehr erfolgreich gewesen ist. Auf den Mund gefallen ist er jedenfalls nicht, wie er im Interview mit NEW BUSINESS beweist – auch wenn das in diesem Zusammenhang sprachlich paradox erscheinen mag.

Sie haben ein erfolgreiches Software-Dienstleistungsunternehmen aufgebaut. Eigentlich könnten Sie sich jetzt entspannt zurücklehnen. Warum haben Sie sich entschieden, es jetzt als Berater, Moderator, Autor und Speaker noch einmal auf eigene Faust zu versuchen?
Das hat relativ einfache Gründe. Ich tue alles, was ich in meinem Leben mache, aus Leidenschaft und Erfüllung. Ich will am Abend nach Hause kommen und auf einen erfüllten Tag zurückblicken, an dem ich meine Leidenschaften ausgelebt habe. Schon als Kind habe ich mich mit Computern und dem Programmieren beschäftigt und davon geträumt, einmal eine Firma zu gründen. Träume sind dazu da, erfüllt zu werden – das habe ich auch getan.
Ich bin ein „Dekaden-Typ“ und befinde mich eigentlich in meiner vierten Transformation. Jetzt geht die Transformation stark in Richtung Menschen, Technologie und deren Verbindung. Ich transformiere mich zum Speaker, Autor und Moderator, weil mich die Themen begeistern. Ich bin über meine Firma hinausgewachsen und kann mich jetzt mit meinen Talenten, meinem Blog und meiner neuen Website wirklich um Menschen kümmern, ihnen Beratung, Supervision und Coaching bieten. Ich bin immer in Kontakt mit Menschen, auch als Autor, mit dem Ziel, dass jeder dieser Kontakte sie glücklicher macht. Das ist für mich das Ziel des Lebens: Es geht nicht darum, viel Geld zu verdienen, sondern ein Umfeld zu schaffen, das glücklich ist.

Was bedeutete das für Ihre Firma? ­Steigen Sie dort aus?
Ich will die Firma nicht loswerden. Dort habe ich viele Menschen um mich, die Experten zum Thema Workplace sind und sich darum kümmern. Das wird sich auch nicht ändern, die Firma wird nicht transformiert. Mein Job ist es jetzt, das neue Unternehmen und die Person Nahed Hatahet auf den Weg zu bringen und bei diesen neuen Themen zu positionieren. Wir haben in der Firma gemeinsam entschieden, das klar zu trennen. Ich berate weiterhin bei meiner alten Firma, aber nicht in Technologiefragen, sondern zu Workplace-Arbeitskultur. Meine Gabe ist es, Projekte so zu begleiten, dass ein Arbeitskultur-Wandel stattfinden kann. Damit Technologie im Sinne des Menschen so eingesetzt wird, dass der User am Bildschirm einen Mehrwert erfährt und somit gerne arbeitet.

Was beraten Sie genau und was ist der Unterschied zu Ihrem früheren „Software-Leben“?
Was berate ich? Es geht um Mentoring und Supervision für CIOs und CEOs, also für Menschen, die stark auf Technologie und IT fokussiert sind, aber sich aufgrund des digitalen Wandels auch um den Menschen kümmern müssen. Die Harvard-Universität sagt zum Beispiel, dass es der IT an Geisteswissenschaften fehlt. Über Themen wie künstliche Intelligenz kommt die Sinnfrage des Menschen wieder in die IT. Auch wollen sich unsere Kinder anders erfüllen als die Generationen vor ihnen. Sie wollen nicht so intensiv arbeiten. Das Arbeitsumfeld ändert sich komplett. Das heißt, dass die meisten CEOs und CIOs erkennen, dass es um mehr geht als Technologie. Es geht darum, in den Unternehmen interdisziplinäre Projekte zu schaffen. Die haben zwar Technologie als Treiber, aber die Führungskräfte der Zukunft müssen das viel breiter denken – nämlich wie man Arbeitskultur und Arbeitswandel langfristig begleitet.

Wie meinen Sie das?
Für mich ist dieser Wandel kein Projekt, sondern ein Prozess. In diesem Prozess unterstütze ich als Berater und Mentor mit meiner Erfahrung genau in diesen Bereichen. Ich weiß aus meiner Arbeit in den letzten 25 Jahren, wie man einen Arbeitskultur-Wandel treiben und umsetzen kann, wie man den Erfolg messbar macht und wie man Technologie dahin trimmt, dass Menschen lieber mit ihr arbeiten. Diese Kompetenz bringe ich in Beratungsgesprächen, in Form von Mentoring und Supervision ein.

Richten Sie sich damit nur an das C-Level?
Nein, ein weiteres Standbein von mir ist Teambuilding bzw. Supervision von Teams. Eines meiner Talente ist es, bei Konflikten als Mentor in Workshops die Menschen wieder zusammenzubringen. Es geht darum, nicht nur den Arbeitsplatz zu fokussieren, sondern auch das Teamwork. Denn nur, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, kann es funktionieren. Ich glaube, dass etwas zurückkommt, wenn man Menschen zusammenbringt. Es erfüllt mich nicht, mehr Geld in der Hand zu haben, sondern wenn ich jemandem helfen konnte. Das verbindet mich auch mit meinem Vater, der Arzt war. Ich bin also so etwas wie ein „Mediziner für IT-Teams“, die ihre internen „Krankheiten“ beseitigen wollen. Es geht darum, Teamwork zu verstehen und Ängste von Menschen wahrzunehmen, sie zu erläutern, sie in Team-Workshops sichtbar zu machen, um sie gemeinsam umschiffen zu können. Denn niemand bockt vorsätzlich, sondern immer aus der Angst heraus. Im IT-Bereich braucht aber niemand Angst um seinen Job zu haben. Man sollte eher Angst haben, wenn man sich nicht verändern will. Ähnlich wie in der Psychologie: Wenn jemand ein Problem hat, aber es nicht anerkennt und nicht daran arbeitet, sich zu verändern, wird er es behalten. In der Digitalisierung geht es um Transformation und Veränderungsprozesse. Mein Job ist es, diese Ängste in Teams zu erkennen, anzusprechen, herauszuarbeiten und zu lösen.

Obwohl es also um Technologie geht, stehen ­menschliche Probleme im Vordergrund?
Meistens sind es Ängste. Für solche Fälle biete ich neben der Beratung und dem Team-Mentoring auch 1-to-1-Coachings an. Wie zum Beispiel bei einem IT-Leiter, den ich gerade coache, der am Verzweifeln ist, weil seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Wir haben gemeinsam erkannt, dass es zwar schön ist, wenn er etwas erwartet – aber seine Erwartung löst ja nicht automatisch eine Reaktion bei jemand anderem aus. Man muss seine Erwartungen auch aus- und mit dem Team besprechen, damit sie überhaupt erfüllt werden können. Auch ich selbst hatte so eine Supervision, denn ich habe mir auch in meiner eigenen Firma sehr viel erwartet. Mein Coach hat mir gesagt: „Nahed, es ist superschön, dass du dir das alles erwartest, aber du musst es deinen Leuten auch sagen!“
Nichts anderes meine ich, wenn ich sage, ich habe 25 Jahre Erfahrung und habe auf gar keinen Fall die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ganz im Gegenteil: Immer wenn ich auf die Schnauze gefallen bin, habe ich daraus etwas gelernt. Diese Erkenntnisse kann ich jetzt weitergeben, weil ich sie nicht aus einem Schulbuch gelernt habe, sondern sie am eigenen Leib erfahren und mich geändert habe. Das ist für mich keine Kunst, nichts Besonderes. Das Besondere daran ist, dass ich mich als Mensch dauernd transformiere, offen für Neues bin und aus Fehlern lerne.

Worüber sprechen Sie denn am liebsten, gerade wenn es um Keynotes und Vorträge geht?
Mein Lieblingsthema ist es, Buzzwords so aufzubereiten, dass sie danach alle verstehen. Mir ist es wichtig, dass die Menschen in meinen Keynotes eine Erkenntnis haben. Nämlich die Erkenntnis, dass es heute nicht um Digitalisierung geht. Als ich den Begriff das erste Mal gehört habe, war ich verdutzt. Ich habe 1982 zu programmieren begonnen und analoge Prozesse in digitale umgewandelt – also digitalisiert. Deswegen musste ich auch laut lachen als ich in den letzten Jahren gehört habe, dass Digitalisierung der größte, neueste Trend ist. Ich habe nachgedacht, was Digitalisierung wirklich ist, und habe mit sehr vielen Menschen darüber gesprochen, aber niemand konnte mir das wirklich erklären. Dazu gibt es sehr viele Meinungen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es gar nicht um die Digitalisierung geht, weil die Digitalisierung eine Konstante ist. Das ist nichts Besonderes. Die ganze Welt digitalisiert. Der Mensch hat sich eine digitalisierte Umwelt geschaffen und diese Umwelt wirkt jetzt auf uns ein. Wir müssen lernen, mit dieser digitalisierten Umwelt umzugehen. Der Mensch muss sich transformieren, um diese Technologien besser anzuwenden. Es geht also nicht um die Digitalisierung, sondern um eine Transformation, um den digitalen Wandel. Digitalisierung ist nur ein Hilfsmittel dafür.

Transformiert werden müssen also im Grunde nicht Technologien, sondern die Menschen?
So ist es. Um konkreter zu werden: Weil diese digitalisierte Umwelt vom menschlichen Gehirn nicht mehr verarbeitet werden kann, weil sie so komplex ist, brauchen wir digitalisierte Unterstützung durch künstliche Intelligenz. So wie früher bei der Automatisierung in der Produktion – wie in der Automobilindustrie – Technologie alles effizienter gemacht hat, benötigt die Digitalisierung unbedingt KI, denn sie macht Technologie wieder menschlicher. Ich werde also zum Beispiel in Zukunft in natürlicher Sprache mit einem Computer sprechen können und er wird mich verstehen und die Technologie für mich nutzbar machen. Mein Personal Bot wird einen Termin mit Ihrem Personal Bot ausmachen. Diese Bots kennen uns aufgrund unseres Nutzungsverhaltens und werden den idealen Termin für uns finden, ohne dass wir miteinander sprechen müssen. Das wird die nächste Ära. Wir müssen uns transformieren und dürfen uns den Möglichkeiten, die uns Bots und KIs bieten, nicht verweigern. Es geht darum, dass der Mensch versteht, dass ihm das einen Mehrwert bietet und er keine Angst davor haben muss. Denn dann wird er diesen Wandel mitvollziehen. Derzeit haben wir so viel Digitalisierung, dass viele Menschen es nicht mehr verstehen. Wenn der Mensch etwas nicht mehr versteht, hat er Angst.

Manche dieser Ängste sind aber nachvollziehbar, ­finden Sie nicht?
Ich persönlich habe keine Angst vor Technologie wie künstlicher Intelligenz, aber ich habe sehr große Angst davor, dass böse Menschen diese Technologien nicht im Sinne der Menschheit verwenden. Ich habe Angst davor, dass unsere Demokratie es nicht rechtzeitig schafft, Gesetze zu erarbeiten, die dafür sorgen, dass wichtige Entscheidungen nicht von einer KI, sondern von Menschen getroffen werden sollten. Wir müssen daran arbeiten, dass diese Maschinen ethisch-moralisch „richtige“ Daten bekommen, um auch ethisch-moralisch „richtige“ Vorhersagen machen zu können, die dann von Menschen freigegeben werden und erst dann zu einer Aktion führen.
Ich habe also keine Angst vor Technologie, aber wir müssen die Ängste der Gesellschaft ernst nehmen und aufklären. In meinen Keynotes bin ich der Aufklärer. Ich nutze dafür positive Beispiele, wie etwa die Inklusion der Menschen am Arbeitsplatz der Zukunft. Dort können sich beispielsweise hörbeeinträchtigte Menschen sehr wohl Videos ansehen oder an einer Videokonferenz teilnehmen, weil eine KI in Echtzeit Untertitel generiert. Gleichzeitig wird das Gesprochene automatisch in mehrere Sprachen übersetzt, in Wort und Schrift. Teilweise funktioniert das schon heute. Technologie wird uns sehr stark unterstützen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gesellschaft keine Angst davor hat. Dafür müssen wir auch politisch agieren und demokratische Prozesse schaffen, die effizienter und schneller sind.

Apropos: Was halten Sie in dieser Hinsicht von der aktuellen Regierung?
Ich glaube, die Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck arbeitet hart daran, dass Digitalisierungsgesetze rascher durch die Gremien kommen können. Denn das braucht die Digitalisierung. Der Apparat der Demokratie und auch der Bildungsapparat sind zu langsam. All das verarbeite ich in meinen Keynotes: die Aufklärung, dass es nicht um Digitalisierung geht, sondern um uns Menschen, den Abbau der Ängste, und es geht auch um das politische System, das sich langfristig der digitalisierten Umwelt anpassen muss. Damit sind wir bei Charles Darwin: Die Menschen, die sich der Umwelt am besten anpassen, werden überleben. Wir sind im digitalen Wandel und der Mensch muss sich transformieren. (RNF)