Große Herausforderungen

NEW BUSINESS Guides - TRANSPORT- & LOGISTIK GUIDE 2022
Die sich zu Beginn des Jahres hebende Stimmung in der Wirtschaft ist durch den Krieg in sich zusammengesackt. © Adobe Stock/photoschmidt

Die Transport- und Logistikbranche ist stark von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine beeinflusst. Und die gestiegenen Energiepreise wirken sich massiv auf den Güterverkehr aus ...

... Die Unternehmen stehen unter immensem Druck.

Die vergangenen beiden Jahre waren für die sorgsam ausbalancierte Maschinerie der Weltwirtschaft eine Belastungsprobe. Erst hat Covid die Lieferketten ordentlich durchgeschüttelt und ins Stocken gebracht, dann blockierte ein Containerschiff den Suezkanal.

Noch zu Beginn dieses Jahres war aber mehr oder minder verhaltener Optimismus zu spüren. Doch dann kam der Krieg in der Ukraine zu den ohnehin vorhandenen weltweiten Krisen und der Pandemie hinzu und versetzte der Wirtschaft einen ordentlichen Dämpfer. „Eine Entspannung der Situation ist kaum erfolgt, bevor nun durch den Krieg in der Ukraine die Schwierigkeiten erneut zunehmen“, sagte in diesem Zusammenhang im März Alfred Wolfram, Obmann des Fachverbands Spedition und Logistik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). 

Nachfrage an Laderaum höher als das Angebot
Ähnlich sieht es das Freight-Tech-Unternehmen TIMOCOM, das mit seinem Transportbarometer regelmäßig die Entwicklung von Transportangebot und -nachfrage auf dem Straßentransportmarkt in insgesamt 46 europäischen ­Ländern untersucht. So sei die sich zu Beginn des Jahres hebende Stimmung in der Wirtschaft durch den Krieg in sich zusammen­gesackt. Diese ökonomischen Effekte wirken sich auch auf den Transportmarkt aus. Insgesamt ist die Anzahl der Frachtangebote in Europa im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um vier Prozent gesunken. Grund sind hier rückläufige Frachteingaben im Jänner (– 8 Prozent) und Februar (– 12 Prozent). 

Im März nahmen die Frachteingaben und damit die Nachfrage nach Transportkapazitäten europaweit wieder um 42 Prozent zu. Denn das Laderaumangebot hat sich durch die wirtschaftlichen Auswirkungen – allen voran die gestiegenen Energiepreise – reduziert. Die Nachfrage an Transportraum im ersten Quartal 2022 ist europaweit deutlich höher als das Angebot. Im Schnitt lag das Verhältnis von Fracht- zu Laderaumangeboten bei etwa 70:30.

Einzelne aktuelle Länderrelationen von Anfang Mai, ausgehend von Österreich, zeigen unterschiedliche Ergebnisse. So lag es beispielsweise bei Fuhren von Österreich nach Deutschland bei 83:17, in die Schweiz bei 50:50, nach Tschechien bei 39:61, nach Ungarn bei 54:46, Richtung Großbritannien bei 20:80, Russland 8:92 und nach Frankreich bei 59:41 – jeweils mit leicht bis stark steigender Tendenz. 

Transportkapazitäten aufgrund hoher Energiepreise reduziert
Die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise haben länderübergreifend großen Einfluss auf die Transport- und Logistikbranche. Vor allem der hochschnellende Dieselpreis und das unterschiedliche Preisniveau in Europa schaden den meist kleinen Transportunternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Straßengüterverkehr. Dass der Anteil an Frachtange­boten, wie im System von TIMOCOM ersichtlich ist, europaweit nach wie vor so hoch ist, liegt unter anderem an den deutlich reduzierten Laderaumkapazitäten. Aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise und des anhaltenden Fahrer­mangels haben zahlreiche Transportunternehmen LKW verkauft oder vorübergehend stillgelegt.

Das hob auch WKÖ-Fachverbandsobmann ­Alfred Wolfram hervor: „Der bestehende Fahrermangel spitzt sich noch weiter zu, weil junge ukrainische Männer zum Wehrdienst einberufen werden und in ihr Heimatland zurückkehren.“ Zusätzlich belaste der Mangel an bestimmten Waren aus der Ukraine die ohnehin gebeutelte Automobilindustrie.

„Da aktuell keine Entspannung der Situation abzusehen ist, brauchen wir eine Deckelung des Dieselpreises sowie generell eine Senkung der Energiepreise“, forderte ­Wolfram im März. Denn es gelte, die Grund­versorgung aufrechtzuerhalten. Zudem sieht der Fachverbandsobmann „jetzt den richtigen Zeitpunkt, um über Förderungen für alternative Antriebsarten nachzudenken. Hier müssen rasch die richtigen Anreize gesetzt werden.“

Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für den Transportmarkt?
In Polen, einem direkten Nachbarland der ­Ukraine, sind die Auswirkungen deutlich zu spüren: Da hier viele ukrainische Fahrer tätig waren, verloren einige der Transportunternehmen bis zu einem Drittel ihres Personals und mussten Teile ihrer Flotte stilllegen. Nachdem das Gros der europäischen Unternehmen seine Zusammenarbeit mit russischen Partnern abgebrochen hat, ist die Nachfrage nach Transportleistungen zusätzlich zurückgegangen.

Ein weiterer Grund für die schwache Auftragslage ist, dass ein Teil der ukrainischen Unternehmen seinen Betrieb eingestellt hat, also keine Komponenten mehr bestellt oder Waren versendet. Dies gilt laut TIMOCOM insbesondere im Automobilbereich.

Transporte aus Europa nach Russland sind fast zum Erliegen gekommen. Seit Mitte März sind kaum noch Transportanfragen Richtung Russland im System von TIMOCOM. Die Frachtangebote von Europa nach Russland sind im März um circa 85 Prozent eingebrochen. Dies wird sich auf absehbare Zeit voraussichtlich nicht ändern. Aufgrund der Sanktionslisten werden nur noch wenige Produkte nach Russland geliefert, und die Wege ins Land sind umständlich und sehr zeitaufwendig.

Eine interessante Entwicklung ist bei Frachtangeboten von Europa in die Ukraine zu beobachten. Nach Kriegsbeginn sind die Frachteingaben merklich zurückgegangen und insgesamt um 50 Prozent eingebrochen. Im März nahmen sie kurzzeitig jedoch wieder leicht zu. „Wir sehen, dass nach Ausbruch des Kriegs hier unter anderem Hilfsgütertransporte in unserem System angefragt und eingestellt wurden“, so Gunnar Gburek, Head of Business Affairs bei TIMOCOM. Wenn es auch unvorstellbar erscheint: Im Westen der Ukraine wird weiterhin produziert.

Im Smart Logistics System von TIMOCOM sind nach wie vor Transportanfragen Richtung Westen, wenn auch bei Weitem nicht so viele wie vor Kriegsbeginn. Die Frachteingaben aus der Ukraine sind im März insgesamt über 80 Prozent gegenüber dem Vormonat zurückgegangen.

Ebenfalls interessant in diesem Zusammenhang: Die ÖBB Rail Cargo Group (RCG) baute ihre Agrartransporte aus der Ukraine speziell seit Beginn des Kriegs aus. Von März bis April 2022 hat die RCG eigenen Angaben zufolge jeden zweiten Tag Getreidezüge aus der Ukraine nach Deutschland organisiert. In Summe wurden dabei 60.000 Tonnen Getreide transportiert.

Seit Mai fährt die RCG für voraussichtlich mindestens drei Monate täglich einen Güterzug mit Agrarprodukten aus der Ukraine ab Čierna (Slowakei) in Richtung Norddeutschland. Das entspricht 25 Zügen in Richtung Deutschland pro Monat. Fünf Züge pro Monat bleiben in Tschechien und der Slowakei. Mitbeteiligt sind die RCG-Tochtergesellschaften Rail Cargo Carrier und Rail Cargo Logistics. Ein Zug ist dabei rund 480 Meter lang und befördert circa 2.000 Tonnen Getreide.

Erste Transportstreiks und Proteste
Die Situation mit all ihren Herausforderungen betrifft jedes Land in Europa, und ein Ende ist nicht in Sicht. Es zeigt sich erster Widerstand gegen die Auswirkungen in der Branche. In Deutschland, Spanien und Frankreich gab es bereits von LKW-Fahrern erste Proteste gegen die hohen Energiepreise, die zu kurzzeitigen Ausschlägen bei Frachtangeboten führten. Vor allem in Spanien verursachte der Transportstreik einen zweiwöchigen LKW-Stillstand, der eine schwere ökonomische Krise auslöste.

Einige Branchen, wie die Milchwirtschaft, die Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie die Automobilindustrie und das Baugewerbe, mussten ihre Aktivität vorübergehend einstellen. Deutlich zu beobachten war dies auch bei den Frachtangeboten, die innerhalb Spaniens während des Streiks von unter zehn Prozent auf über 50 Prozent stiegen. Eine solche Entwicklung hat es in Spanien nie zuvor gegeben.

Auch wenn die Regierung nicht mit den Streikenden verhandelte, letztlich waren die Proteste in Spanien doch erfolgreich: Die Branche erhält 1,125 Milliarden Euro als Ausgleich für den Anstieg der Kraftstoffpreise. Neben dem Versprechen einer Mindestsubvention von 20 Cent pro Liter oder Kilogramm Kraftstoff für Diesel, Benzin, Gas und den Zusatzstoff Adblue wurden unter anderem Direktbeihilfen in Höhe von 450 Millionen Euro für Güter- und Personenverkehrsunternehmen sowie eine Verdoppelung der Mittel für Beihilfen zur Aufgabe des Verkehrs­berufs zugesagt.

Finanzielle Entlastung zur Sicherung von Transportkapazitäten 
Die derzeitige Dynamik macht TIMOCOM zufolge Prognosen für das zweite Quartal sehr schwierig. Sollten sich die negativen wirtschaftlichen Effekte und Proteste in weiteren europäischen Ländern jedoch verstärken, werde im zweiten Quartal 2022 einiges auf die Branche und auf die gesamte Wirtschaft Europas zukommen. Wenn die europäischen Regierungen die Transportbranche flächendeckend finanziell unterstützen und entlasten würden, wie es zum Beispiel in Deutschland und zahlreichen osteuropäischen Ländern diskutiert wird, könnte sich zumindest die Lage der Transportunternehmen etwas entspannen. Transportkapazitäten müssten dann nicht in dem Maße abgebaut werden, wie von vielen Logistikverbänden befürchtet. (RNF) 


INFO-BOX
Über das Transportbarometer
Mit dem Transportbarometer analysiert das Freight-Tech-Unternehmen TIMOCOM seit 2009 die Entwicklung von Transportangebot und -nachfrage in 46 europäischen Ländern. Mehr als 147.000 Nutzer generieren täglich bis zu eine Million internationale Fracht- und Laderaumangebote im Smart Logistics System. Das System hilft über 50.000 TIMOCOM Kunden dabei, ihre logistischen Prozesse digital zu optimieren.

www.timocom.de