E-Government unter der Lupe

NEW BUSINESS Guides - IT- & DIGITALISIERUNGS-GUIDE 2019
Österreich liegt im E-Government zwar im europäischen Spitzenfeld. Was das aber genau heißt und wo es trotzdem noch hakt, das hat EY im Rahmen einer Studie genau unter die Lupe genommen. © Marten Newhall on Unsplash

Wie smart ist Österreichs digitale Verwaltung wirklich?

Österreich gilt in Sachen E-Government zu Recht als europäischer ­Pionier. Als ­Vorreiter kann man das Land aber schon seit Jahren nicht mehr uneingeschränkt bezeichnen – trotz einzelner guter Ideen und Initiativen.

Während es früher in verschiedenen E-Government-Ranglisten regelmäßig rot-weiß-rote Spitzenplätze zu bejubeln gab, reicht es heute nicht einmal mehr für das Siegerstockerl. So belegte Österreich zum Beispiel im letzten E-Government-Benchmark der Europäischen Kommission den sechsten Platz von 34 untersuchten Ländern. Vor Österreich liegen im Benchmark-Gesamtranking Malta, Dänemark, Schweden, Estland und Norwegen. Ein gutes Ergebnis, aber nicht hervorragend. Trotzdem gibt es auch Grund, stolz zu sein: Heimische E-Government-Lösungen wie FinanzOnline oder Justiz 3.0 werden als Best Practices für ganz ­Europa genannt.
„Österreich liegt bei der elektronischen Verwaltung im Spitzenfeld und unter den innovativsten Ländern Europas. Der klassische Weg zum Amt wird weiterhin möglich sein, aber die Bürgerinnen und Bürger erwarten sich zu Recht auch ein qualitatives digitales Beratungsangebot. Wir wollen Österreich hier langfristig in der Gruppe der besten Länder positionieren und Vorreiter für mobile Amtswege sein“, so Digitalministerin Margarete Schramböck bei der Veröffentlichung des Benchmarks über die gesetzten Ziele.
Einen sehr genauen Blick auf das Thema E-Government hat auch die Prüfungs- und Beratungsorganisation EY im Rahmen ihrer Studie „Smart Country Österreich 2018“ geworfen. Für die Untersuchung wurden über 20 Führungskräfte aus Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung in Österreich persönlich in Form von qualitativen Interviews und 1.000 Österreicherinnen und Österreicher mittels Fragebogen befragt. Die Studie beleuchtet den Stand und die Entwicklungstrends von Smart Country und E-Government in Österreich aus mehreren Perspektiven und bezieht auch internationale Studien auf EU- und DACH-Ebene mit ein.

Nutzung steigt, Zufriedenheit sinkt
Der Studie zufolge interagieren vier von zehn Österreichern in etwa alle drei Monate mit Behörden. Ein Drittel davon führt die Behördenwege online durch, jeder Zweite entscheidet sich für eine persönliche Abwicklung. Zufrieden mit den Online-Behördenwegen sind hierzulande 64 Prozent, das sind neun Prozent weniger als 2012. Trotzdem steigt die E-Government-Nutzung in Österreich – von 2012 auf 2017 konnte ein Plus von sieben Prozent (von 67 Prozent auf 74 Prozent) erzielt werden. Die größten Barrieren bleiben dabei dieselben: An erster Stelle rangiert geringes Wissen über die bestehenden Angebote, gefolgt von der Anschaffung zusätzlicher Hardware und mangelnder Durchgängigkeit.
Besonders häufig werden Anliegen des Finanzamts online erledigt: 47 Prozent entscheiden sich für eine digitale Abwicklung, durchgeführt werden dabei beispielsweise Lohnsteuerbescheinigungen und Einkommensteuererklärungen.
Während sich nur ein knappes Viertel (23 Prozent) der Bürger angemessen über digitale Behördenwege informiert fühlt, schätzen Führungs­kräfte der Verwaltung ihren Informationsstand in Sachen Digitalisierung gut, wenn nicht sogar sehr gut ein. Nur in zwei von 20 Fällen ist man mit dem vorhandenen Wissensstand im eigenen Ressort bzw. der Landesverwaltung unzufrieden. Das Problem sei, dass das Wissen zwar breit gefächert, aber oberflächlich und teilweise abstrakt ist, so die Führungskräfte.
Speziell ältere Bürger, die auf Online-Abwicklung setzen, geben an, bereits mit Problemen im Durchführungsprozess gekämpft zu haben. Ein Viertel aller Befragten ist schon mehrmals auf Hindernisse gestoßen. Dabei werden vor allem zu wenige Erklärungen (55 Prozent), Systemausfälle (40 Prozent) und „unverständliches Beamtendeutsch“ (31 Prozent) als Gründe für Schwierigkeiten angeführt. „Um künftig auf die Online-Erledigung von Behördenwegen zu setzen, muss der Wissensstand der Bürger ausgebaut werden. Je besser man informiert ist, desto eher vertraut man der digitalen Durchführung“, so Christoph Harreither, Sector Leader Government und Public Services bei EY Österreich.
Neben der geringen Verständlichkeit gilt die Frage nach der Datensicherheit als größtes Problem bei der Online-Abwicklung. Über die Hälfte (53 Prozent) gibt an, Sorge um ihre Daten zu haben und sich unwohl dabei fühlen, ein „gläserner Bürger“ zu sein.

Budget- und Personalknappheit
Während die Bürger sich mehr Wissen rund um Online-Abwicklungen wünschen, zeigen sich die Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich zufrieden mit dem derzeitigen E-Government-Angebot in Österreich: Knapp die Hälfte der befragten Führungskräfte erachtet den Status der Digitalisierung in der österreichischen Verwaltung als sehr weit fortgeschritten, insgesamt bewerten bei Weitem die meisten Experten den jetzigen Stand positiv. Österreich ist nach Ansicht der Verantwortlichen in der Verwaltung in der DACH-Region zwar am besten aufgestellt, Nord- und Osteuropa würden aber rasant auf­holen. Dennoch zeigt sich für deutlich über die Hälfte der Befragten ein großes Problem: Budgetknappheit. Die Ressourcen für Digitalisierungsprojekte sind nach Einschätzung vieler Führungskräfte im besten Fall genügend, um punktuelle oder Pilotprojekte durchzuführen, jedoch reichen sie für eine flächendeckende Ausrollung und ressortübergreifende Unternehmungen nicht aus.
Auch wenn fehlende Budgets bekrittelt werden, so seien Personalressourcen nach Ansicht der Führungskräfte im öffentlichen Sektor zuweilen sogar wichtiger als finanzielle. Angesichts des Wettbewerbs mit der Wirtschaft um Talente müssten die Jobs in der Verwaltung attraktiver werden. Es gelte, die Bedürfnisse der IT-Experten zu erkennen und ihnen sowohl in Sachen Gehalt als auch Flexibilität entgegenzukommen. Derzeit fehlt das Personal für Innovationen, während zeitgleich das Kernpersonal überlastet ist. Ein Ansatz wäre – neben Recruiting –, das bestehende Personal fortzubilden und zu sensibilisieren.
„Auch wenn die generelle Tonalität positiv ist und die Führungskräfte den digitalen Entwicklungen gut gegenüberstehen, ist man sich einig, dass es noch viel Luft nach oben gibt. Der Entwicklungsstand der Digitalisierung in der österreichischen Verwaltung wird von den meisten als positiv eingestuft. Dennoch liegt das Entwicklungsniveau hinter dem der Wirtschaft. Vor allem die Personalfrage ist ein Knackpunkt: Es findet regelrecht ein Ringen mit der Wirtschaft um das knappe Personal statt. Europaweit ist ein Engpass im IT-Personen-Bereich zu erwarten“, analysiert Christoph Harreither.

Wunsch nach mehr Angeboten für eine Online-Abwicklung
Für 66 Prozent der Österreicher ist es vorstellbar, in Zukunft alle Behördenwege online abzuwickeln, knapp die Hälfte (43 Prozent) würde dies sogar über das Smartphone tun. Vor allem die Zeit- und Kostenersparnis (62 bzw. 57 Prozent) tragen dabei stark zur Entscheidung für die Nutzung von E-Government bei. Für die digitale Durchführung sprechen außerdem die zeitliche Flexibilität und die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten (87 Prozent) sowie ein geringerer Zeitaufwand (79 Prozent).
Der Wunsch nach mehr Angeboten für Online-Erledigung von Behördenwegen ist deutlich erkennbar, vor allem bei An- und Ummeldung ist das Interesse groß: 70 Prozent wünschen sich Möglichkeiten der digitalen KFZ-An- und Ummeldung, mehr als zweit Drittel (78 Prozent) empfinden es als relevant, die Ausstellung von Meldebestätigungen, das An- und Abmelden des Wohnsitzes sowie Namensänderungen künftig ins Internet zu verlagern. Vier von zehn Österreichern würden auch die Digitalisierung der Bürokratie rund um das Thema Reisepass begrüßen. Beim Thema Wahlen sind sich 38 Prozent einig, dass eine Online-Abwicklung von Vorteil wäre.
Aus dem Wunsch der Bürger nach Digitalisierung resultieren geplante Veränderungen der öffentlichen Verwaltung: Noch in der ersten Jahreshälfte 2019 sollen aller Voraussicht nach sukzessive die zehn wichtigsten Behördenwege über die Online-Plattform oesterreich.gv.at bzw. eine App abwickelbar sein. „Die Nutzer sind durch den privaten Bereich innovative Lösungen auch am Smart­phone gewöhnt. Die Verwaltung muss hier aufholen. Das öffentliche Serviceangebot muss mit den Entwicklungen der Technologie zumindest mithalten. Daher bauen wir das Electronic zum Mobile Government um. Das Amt der Zukunft ist digital, orts- und zeitunabhängig und serviceorientiert“, verlautbarte etwa zu diesem Thema Digitalministerin Schramböck im Zuge der Veröffentlichung des E-Government-Benchmarks der Europäischen Kommis­sion zum Jahresende 2018.

Zufriedenheit mit persönlicher und digitaler Abwicklung beinahe gleichauf
Doch wieder zurück zur EY-Studie: Vergleicht man die Zufriedenheit mit der Abwicklung von Behördenwegen auf digitalem bzw. persönlichem Weg, sind kaum Unterschiede erkennbar. 89 Prozent der Befragten sind mit der Korrektheit und Vollständigkeit der Erledigung der persönlichen Durchführung zufrieden, 86 Prozent mit der Online-Abwicklung. Auch die Einfachheit der Abwicklung/Bedienung überzeugt – zwei Drittel der Bürger, die die Online-Variante nutzen, sind zufrieden. Vergleicht man die persönliche und die digitale Abwicklung im Detail, zeigt sich, dass in der Online-Bürokratie jedoch in weniger Bereichen hohe Zufriedenheitswerte erzielt werden. In der Kategorie Finanzen gaben nicht mehr als 40 Prozent ein „sehr gut“. Bei Wahlen, Petitionen und Kundenbetreuung sind die Online-Abwickler im Gegensatz dazu mehrheitlich sehr zufrieden.
Die Verwendung des Smartphones ist dabei für über die Hälfte der Nutzer von E-Government – trotz der entsprechenden Absichten des Digitalministeriums – kein Muss: lediglich 46 Prozent würden Petitionen, Volksbegehren und Bürger­befragungen online unterschreiben, knapp die Hälfte (45 Prozent) kann sich vorstellen, Wahlkarten via Smartphone zu beantragen. Voraussetzung für zahlreiche Online-Behördenwege ist eine Handysignatur oder Bürgerkarte, die nach der aktuellen Studie vier von zehn Österreichern besitzen. Die Anschaffung der Bürgerkarte und Handy­signatur wird von 42 Prozent als große Hürde gesehen, die gegen die Nutzung von E-Government spricht. Zudem geben 45 Prozent an, wenige Behördenwege zu haben, sodass sich eine Umstellung auf digitale Verfahren nicht auszahle.

Automatisierung ja, Blockchain eher nicht
Die Verwaltung plant zahlreiche Digitalisierungsprojekte in den kommenden zwölf Monaten. So werden Pilotprojekte zu Chatbots initiiert, Tools zur Förderverwaltung und Wirksamkeitsorientierung erstellt und ein digitaler Ministerrat geplant. Anders sieht es mit dem Thema Blockchain aus: Die Hälfte der befragten Führungskräfte aus der Verwaltung gab an, dass in ihrem Ressort noch keine Blockchain-Projekte umgesetzt werden. Als Grund gegen Blockchain spreche, dass der Mehrwert nicht bewiesen und Blockchain unter Umständen ein „Hype“ sei. Zudem genießen die Behörden in Österreich die Bürgernähe und das Vertrauen. Die meisten Experten können sich allerdings Automatisierungsmöglichkeiten in der österreichischen Verwaltung vorstellen, insbesondere für digitale Prozesse. Projekte im Bereich SAP, Bürgerservice und Learning-Analytics sind bereits im Gang bzw. starten in den kommenden zwölf Monaten. „Viel Automatisierungspotenzial bieten Routinetätigkeiten oder Massenprozesse. Die Folgen der Automatisierung werden vor allem Mitarbeiter betreffen, was jedoch nicht mit Personalreduktion, sehr wohl aber mit Effizienzsteigerung einhergeht“, so Christian Horak, Partner bei Contrast EY.
Die Relevanz von Smart Cities wird auf Bundesebene derzeit noch als gering bewertet, die Mehrheit der befragten Führungskräfte sieht kein oder sehr begrenztes Potenzial zur Übertragung von Smart-City-Innovationen auf die Bundesebene – höchstens auf einzelnen Organisa­tionseinheiten.

Die Verwaltung der Zukunft braucht auch mehr ­Bürgernähe
Die Mehrheit der Verwaltungsführungskräfte sieht in der Bürgernähe und Serviceorientierung die wesentlichsten Veränderungen, die auf den Verwaltungsbereich in den kommenden zehn Jahren zukommen werden. Dazu gehören auch organisatorische und funktionelle Veränderungen wie Outsourcing, eine schlankere Organisation und die Verlagerung von Beamtenaufgaben aufgrund der Digitalisierung. Vernetzung und Effi­zienz stehen dabei an erster Stelle. Bezogen auf die Bürger wird es dank E-Government auch Modifizierungen geben. Knapp ein Drittel der Befragten setzt die Beziehung zwischen Bürger und Behörde als Schwerpunkt der Transformation. Dadurch sollen künftig mehr Rechtssicherheit, One-Stop-Shop-Möglichkeiten, digitale Behördenwege, mehr Partizipation und eine höhere Transparenz geschaffen werden.
„Der große Bedarf nach einem zentralen, einheitlichen verwaltungsinternen Wissensmanagement wird sichtbar. Wenn alle Organisationen auf demselben Wissensstand und über einen Knotenpunkt miteinander verbunden sind, wäre eine effiziente Koordination und Nutzung von Synergien viel leichter – mit zahlreichen Vorteilen für Bürger und Verwaltung“, fasst Christian Horak abschließend zusammen. (RF)