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Jetzt erst recht!

NEW BUSINESS Export - NB EXPORT 2/2022
Die WSF Bicycle Technology GmbH wurde 2020 von Alexander Schnöll (li.) und Roland Wallmannsberger (re.) gegründet. © WSF/Sabrina Perauer-Wallinger Fotografie

Das Start-up WSF Bicycle Technology schraubt eifrig an der Zukunft der Fahrradindustrie im DACH-Raum. Dabei werden Wege betreten, die andere Unternehmen als ungangbar erachten ...

... Nicht soll jedoch das Fahrrad revolutioniert werden, sondern vielmehr dessen Produktion.

Einzelteile aus Asien, Montage in Asien oder Osteuropa, Verkauf und Versand in Österreich: Zwischen der Bestellung der Komponenten und der Auslieferung der fertigen Fahrräder vergeht durchschnittlich ein Jahr, in Corona-Zeiten sogar bis zu drei Jahre. Montiert wird nur in großen Chargen, Farbe und Ausstattung der Räder müssen schon zu Beginn der Supply-Chain festgelegt werden, und die ineffizienten Transportwege verursachen beträchtliche Schadstoffemissionen. Das alles machen die Jungunternehmer von WSF Bicycle Technology anders – mit einer Fahrradfertigung, die in der Branche bisher als nicht machbar galt.     

Unscheinbar sieht die Werkshalle knapp außerhalb von Regau aus, die Roland Wallmannsberger und Alexander Schnöll ins Herzstück ihres ambitionierten Start-ups WSF Bicycle Technology verwandelt haben. Doch im Inneren wird Geschichte geschrieben und eifrig an der Zukunft der DACH-Fahrradindustrie geschraubt. Eine Formulierung, die Roland Wallmannsberger von WSF ein belustigtes Schnauben abringt.

„Lass uns eines gleich klarstellen – wir wollen das Fahrrad nicht revolutionieren“, sagt er und grinst dabei. „Aber wir wollen revolutionieren, wie das Fahrrad produziert, also entwickelt, beschafft, montiert, verpackt und versandt wird. Also auch, wie ein Fahrradhersteller zu seinen Fahrrädern kommt“, ergänzt sein langjähriger Freund und Geschäftspartner Alexander Schnöll. Beide nicken, wieder ernst. 

„Jetzt erst recht“     
Noch vor wenigen Jahren standen Fahrräder für Wallmannsberger und Schnöll nicht im Fokus. Klar, für sie als Kinder vom Land war das Rad ein oft genutztes Fortbewegungsmittel; im erwachsenen Alter diente es dann vor allem als Sportgerät. Die Begeisterung der beiden galt aber lange Zeit vierrädrigen, motorisierten Fahrzeugen. ­Schnöll und Wallmannsberger arbeiteten als Einkäufer, Manager und Berater in der Automotive-Industrie und waren dabei unter anderem in den Bereichen Sourcing und Beschaffung, Supply-Chain-Management, Assembling und Logistics tätig.

Ein Beratungsprojekt führte sie schließlich in die Fahrradbranche. Das dort vorherrschende System, konkret die altmodischen, ineffizienten Produktionsprozesse, lieferten den Anstoß zur Gründung von WSF. Die meisten Fahrradhersteller in der DACH-Region bestellen Einzelteile (vom Rahmen bis zur Klingel) in Asien und verschicken diese, gegebenenfalls nach einer zwischenzeitlichen Lagerung in Österreich oder Deutschland, nach Osteuropa. Dort werden die Räder in Chargen von mindestens mehreren Hundert Stück pro Modell montiert und gehen an die Hersteller.

Von der Bestellung bis zur Verfügbarkeit dauert das rund ein Jahr – Lieferengpässe und etwaige Werkschließungen, wie es während der Pandemie der Fall war, nicht eingerechnet. In der Covid-Krise verdoppelte sich die durchschnittliche Wartezeit, mit einem Spitzenwert von drei Jahren für bestimmte Einzelteile. In jedem Fall müssen Ausstattung und Farbe der Räder zum Zeitpunkt der Bestellung bereits feststehen und können nachträglich nicht mehr geändert werden. 

„Die erste Erkenntnis war: Hier gibt es viel Potenzial, das Ganze schneller, effizienter, einfach besser zu machen – mit Tugenden, die man aus der Automotive- und anderen Hightechindustrien kennt“, so Alexander Schnöll. „Die Rückmeldung von den alten Hasen, den etablierten Playern im Geschäft war aber: ‚Nein, das geht nicht. In der Fahrradbranche ticken die Uhren anders.‘“

Vor allem die Produktion in kleiner Stückzahl in einer eigenen Fertigungshalle sowie das Lackieren vor Ort würden sich nicht rentieren. Das vehemente Kopfschütteln der Alteingesessenen habe jedoch eher motivierend als abschreckend gewirkt, erklärt Roland Wallmannsberger: „Je öfter uns jemand sagt, das geht nicht, das könnt ihr nicht machen, desto mehr denken wir uns: Jetzt erst recht! ‚Geht nicht‘ gibt es in meinem Wortschatz nicht!“

Neue Wege 
Im Dezember 2020 gründeten Wallmannsberger und Schnöll WSF Bicycle Technology und beschreiten seither höchst erfolgreich neue Wege in der Zweiradbranche. Ihre Fahrradphilosophie ist auf größtmögliche Flexibilität und geringstmögliches Outsourcing ausgerichtet. „Was sicher nicht passieren wird, ist, dass die Produktion der Fahrradkomponenten von Asien zurück nach Europa wandert. Ansonsten machen wir das auch alles noch selbst“, so Wallmannsberger. Qualität ist als oberstes Ziel ausgegeben.

Auf den Begriff „Premium-Fahrrad“ reagieren die gebürtigen Salzburger allergisch: „Jeder spricht von Premium. Aber was bedeutet das schon? Bei uns geht es immer um Qualität. Bei uns werden alle Fahrräder mit dem gleichen Qualitätsgedanken zusammengebaut, egal, ob sie dann für 2.000 oder für 16.000 Euro verkauft werden.“

Geboten wird ein Rundumpaket, vom Sourcing (welche Komponenten sind für das gewünschte Rad geeignet?) und der Beschaffung der Einzelteile über die Montage der Räder bis zur Lackierung und zum Versand. Aus diesen Dienstleistungen kann der Kunde flexibel wählen oder das gesamte Paket in Anspruch nehmen. Gefertigt werden Groß-, aber auch Kleinserien ab Losgröße eins. Mit einer Zweigniederlassung in Taiwan und der eigenen WSF-Produktionsstätte in Regau verkürzt sich die Time to Market der Räder um mehrere Monate. Darüber hinaus ermöglicht der Standort in Asien eine Qualitätskontrolle der Komponenten noch vor dem Versand nach Europa. 

Es ist das erste Angebot dieser Art in der gesamten DACH-Region und richtet sich in erster Linie an OEM (Original Equipment Manufacturer), sprich Fahrradhersteller, die eine eigene Bike-Marke vertreiben. WSF bietet zudem eine White-Label-Lösung für Fahrradhersteller in spe an, beispielsweise für Sportfachhändler, die eine eigene Fahrradmarke launchen möchten. 

Neue Wege bedeuten bei WSF aber nicht nur das Umkrempeln und Stabilisieren von Lieferketten und Produktionsprozessen oder die Anwendung erprobter Automotive-Tugenden in der Fahrradfertigung. Es geht auch um die Umsetzung einer ureigenen Vision mit Chuzpe, Fleiß und nicht zuletzt auch Humor. So sind etwa die Jobausschreibungen des Unternehmens auf Facebook in Mundart gehalten. Der Zuspruch ist enorm. Personalmangel ist in einem der innovativsten Fahrradbetriebe Europas kein Thema. (RNF)


INFO-BOX
Über WSF
WSF Bicycle Technology, im Dezember 2020 von Roland Wallmannsberger und Alexander Schnöll gegründet, ist ein auf Fahrräder spezialisiertes Lohnfertigungsunternehmen mit Sitz im oberösterreichischen Regau. WSF denkt die Produktion von Fahrrädern neu und bietet Bike- sowie Sportartikelherstellern ein branchenweit einzigartiges, auf hohe Qualität und Flexibilität ausgerichtetes Konzept. WSF kümmert sich um Sourcing, Beschaffung und Import der Fahrradkomponenten in die EU und übernimmt anschließend die Montage und Lackierung der Fahrräder sowie den Versand zum Endverbraucher, Händler oder Hersteller. Eine Zweigniederlassung in Taiwan ermöglicht einen Qualitätscheck der Komponenten noch vor dem Export aus Asien. Durch die Abwicklung des gesamten Fertigungsprozesses in Regau bietet WSF zudem kurzfristige Anpassungen der in Auftrag gegebenen Fahrradmodelle und eine erheblich verkürzte Time to Market. Die Klientel von WSF erstreckt sich von Österreich bis Kanada. Das Unternehmen beschäftigt aktuell über 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

www.wsfbike.com