Demonstration auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires am 10. August © APA - Austria Presse Agentur

In vielen Regionen der Welt ziehen die Preise gerade kräftig an. Kaum ein Land hat soviel Erfahrung mit der Teuerung wie Argentinien. Mit Ratenkäufen, Devisengeschäften und der Flucht in Sachwerte versuchen die Menschen dort die Folgen der Inflation abzufedern. Argentiniens neuer Wirtschaftsminister hat ein klares Ziel. "Eines der zentralen Themen meiner Amtszeit wird der Kampf gegen die Inflation sein", kündigte Sergio Massa kurz nach seiner Vereidigung an.

Seine Vorgängerin hatte sich gerade einmal einen knappen Monat in dem schwierigen Amt gehalten, Massa will nun das Ruder herumreißen. "Wir müssen mit aller Entschlossenheit gegen die Inflation vorgehen, denn sie ist die größte Fabrik für Armut in diesem Land. Wir in Argentinien leiden darunter und die Welt leidet darunter."

In dem südamerikanischen Land ist die Inflationsrate mittlerweile auf 71 Prozent gestiegen. Allein im Juli zogen die Preise um 7,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat an, wie das Statistikamt (Indec) am Donnerstag mitteilte. Das ist fast soviel wie in Deutschland oder Österreich im ganzen Jahr. Die linke Regierung von Präsident Alberto Fernández kündigte an, in Abstimmung mit den Unternehmern und den Gewerkschaften die Preise und Löhne für zwei Monate einzufrieren, um die rasante Geldentwertung zu bremsen.

Der Krieg in der Ukraine, die Unterbrechung der Lieferketten und die hohen Staatsausgaben zur Überwindung der Coronakrise befeuern wie im Rest der Welt auch in Argentinien die Inflation. Der größte Teil des Problems ist aber hausgemacht: Um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, druckt die Zentralbank ständig frisches Geld. Die Ausweitung der Geldmenge mindert den Wert des Peso.

Während die kräftige Inflation für die Menschen in den meisten Länder etwas Neues ist, sind die Argentinier wahre Inflationsexperten. In den vergangenen 50 Jahren waren die Preise in dem Land nur selten stabil. Ende der 1980er Jahre schnellte die Inflationsrate auf sagenhafte 3.000 Prozent. Seit 2018 lag die jährliche Teuerungsrate immer über 30 Prozent. Analysten rechnen für Ende des Jahres mit einer Inflationsrate von rund 90 Prozent.

Um mit den steigenden Preisen mitzuhalten, werden in Argentinien alle sechs Monate die Löhne und Gehälter erhöht - zuletzt um etwa 25 Prozent pro Semester. Oft bleiben die Lohnsteigerungen aber hinter der Inflation zurück, die Beschäftigten müssen Einbußen ihrer Kaufkraft hinnehmen. 37,3 Prozent der Bevölkerung in dem einst reichen Land gelten mittlerweile als arm.

Im Laufe der Zeit haben die Argentinier allerdings eine Reihe von Strategien entwickelt, um die Folgen der Inflation zumindest abzufedern: Da Schulden wegen des Wertverfalls des Peso mit der Zeit immer geringer werden, strecken die Kunden die Bezahlung vieler Produkte über einen möglichst langen Zeitraum. Gerade bei größeren Anschaffungen werden oft Ratenzahlungen ohne Zinsen angeboten, wobei es sich faktisch um einen Preisnachlass handelt. Aber selbst beim Einkauf von Lebensmitteln im Supermarkt fragen die Kassierer stets, ob man die Zahlung auf mehrere Raten verteilen möchte.

Dennoch sorgen die ständigen Preiserhöhungen für große Unsicherheit. "Sowohl kleine Geschäfte als auch große Unternehmen wissen nicht, zu welchem Preis sie ihre Produkte einkaufen und verkaufen sollen", sagte kürzlich der Wirtschaftswissenschaftler Dante Avaro im Radio. Monatlich werden die Preise erhöht, oft gibt es aber große Preisunterschiede zwischen verschiedenen Geschäften. Ständiges Vergleichen und die Suche nach Sonderangeboten gehört für viele Argentinier zum Alltag.

Das wichtigste Instrument der Argentinier im Kampf gegen die Inflation ist aber der Dollar. Da die Inflation die Ersparnisse in Peso innerhalb kürzester Zeit auffressen würden, legen die Argentinier jeden überschüssigen Peso in Dollar an. In keinem anderen Land der Welt außerhalb der USA sind so viele Dollarnoten im Umlauf wie in Argentinien. Schätzungen zufolge besitzen die Argentinier 200 Mrd. US-Dollar (193 Mrd. Euro) in bar. Das sind 10 Prozent aller sich im Umlauf befindenden Dollarscheine weltweit - und 20 Prozent aller Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten.

Weil Argentinien kaum noch über Dollarreserven verfügt, dürfen die Argentinier allerdings nur 200 Dollar pro Monat zum offiziellen Wechselkurs von 140 Peso kaufen. Auf dem Schwarzmarkt kostet der Dollar mehr als doppelt soviel. In der Innenstadt von Buenos Aires locken Geldwechsler die Kunden in die sogenannten "Cuevas" (Höhlen), um Peso gegen Dollar zu tauschen. In den eleganten Vororten der Hauptstadt liefern die Schwarzmarkthändler die Dollar nach der Preisverhandlung via WhatsApp frei Haus.

In den ärmeren Vierteln hingegen verabschieden sich immer mehr Menschen ganz von der Geldwirtschaft und verlegen sich wieder auf Tauschhandel. Sie treffen sich in Vereinen oder unter freiem Himmel und tauschen gebrauchte Kleider gegen Lebensmittel und Windeln gegen Baumaterial. Eine Flucht in Sachwerte am unteren Ende der Einkommensskala.