Die wirtschaftlich entwickelten Länder müssen sich langfristig auf eine Halbierung des Wirtschaftswachstum einstellen. Um die negativen Folgen daraus abzufangen, braucht es vor allem Reformen des Arbeitsmarkts und des Pensionssystems, schreibt die OECD, der Zusammenschluss der Industrieländer, am Dienstag in einer Langfristprognose bis 2060. Sonst drohen Steuererhöhungen. Im Euroraum sieht die OECD ein weitgehend stabiles Wachstum - aber auf grundsätzlich niedrigerem Niveau.

Die Wirtschaft der OECD- und G20-Länder zusammen werde 2060 nur mehr um etwa eineinhalb Prozent wachsen, statt wie derzeit um drei Prozent, erwartet die OECD. Das liege weit unter dem historisch üblichen Niveau. Pro Kopf dürfte das Wachstum sogar noch etwas niedriger liegen. China und Indien werden zwar noch Wachstumslokomotiven sein, aber nicht mehr so stark wie derzeit, wobei Indien China Anfang der 2040er Jahre beim Wachstum, nicht aber bei der absoluten Wirtschaftsleistung, überholen dürfte.

Für die Eurozone geht die OECD nach mageren 2010er-Jahren zwischen 2025 und 2060 von einem Pro-Kopf-Wachstum zwischen 1,0 und 1,1 Prozent aus. In Österreich dürfte das Trendwachstum etwas niedriger, bei 0,8 bis 1,0 Prozent, liegen.

Ausdrücklich hält die OECD fest, dass es sich bei den Zahlen um Größenordnungen handle, nicht um eine präzise Prognose.

Die Kosten der Covid-Krise mögen hoch sein, längerfristig werden sie im Vergleich zu den strukturellen demografischen Problemen verblassen, schreibt die OECD. Vor allem zwei Faktoren werden die Staatshaushalte unter Druck bringen: Die Alterung der Bevölkerung, die zu höheren Pensionsleistungen und einem geringeren Arbeitskräfteangebot führt, sowie steigende Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheit oder Pflege. Zwar dürfte das Zinsniveau niedrig bleiben, sodass eine Zeit lang die nötigen Mehrausgaben mit Schulden finanziert werden können, letztlich werde das die nötigen Strukturveränderungen aber nur hinauszögern.

Einerseits brauche es eine Reform des Arbeitsmarktes, um die Beschäftigung zu steigern. Würden alle Länder ihren Arbeitsmarkt nach dem Muster der Vorbilder (best practice) reformieren, könnte die durchschnittliche Wirtschaftsleistung 2060 um fast 7 Prozent höher sein als ohne Reformen. Österreich zählt hier zu den Ländern mit überdurchschnittlichem Nachholbedarf - ein Zuwachs beim Wohlstand um 8 Prozent wäre aus Sicht der OECD mit entsprechenden Arbeitsmarktreformen möglich.

Um weitere drei Prozent höher könnte die Wirtschaftsleistung weltweit sein, wenn das effektive Pensionsantrittsalter mit der steigenden Lebenserwartung mit steigt. Konkret schlägt die OECD vor, dass zwei Drittel der gestiegenen Lebenserwartung für einen längeren Verbleib im Arbeitsprozess genutzt werden. Österreich könnte hier mit knapp zwei Prozent mit Reformen nur unterdurchschnittlich stark dazugewinnen.

In manchen Ländern könnte die Kombination aus Arbeitsmarktreform und späterem Pensionsantritt die Mehrkosten durch die alternde Bevölkerung abfangen, im Schnitt würden die Kosten dadurch halbiert, schätzt die OECD.

Auch wenn das pessimistisch klingen mag: die Projektionen der OECD gehen von einem Wachstum der Wirtschaftsleistung pro Kopf von rund einem Prozent pro Jahr aus. Sollte die Prognose also eintreffen, wäre die Wirtschaftsleistung pro Kopf beispielsweise in Österreich im Jahr 2060 real, also ohne Inflationseffekte, um 40 Prozent höher als jetzt. Im OECD-Schnitt ist der Zuwachs sogar noch etwas höher.

Die erwarteten demografischen Veränderungen und damit verbundene Mehrkosten werden großen Druck auf die Staatsfinanzen ausüben, erwartet die OECD. Ohne Reformen müsste beispielsweise Österreich die Steuereinnahmen um etwas mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erhöhen, um bei unveränderten Sozialleistungen die Verschuldung auf dem aktuellen Niveau zu halten. Damit würde die Steuerquote von derzeit rund 48 auf etwa 60 Prozent des BIP steigen. Den größten Anteil an der Mehrbelastung hätten Pensionsausgaben, gefolgt von Gesundheits- und Pflegeausgaben.

Dabei ist Österreich aus Sicht der OECD eines von fünf OECD-Ländern, in denen die Steuersätze für Einkommen und Konsum bereits so hoch sind, dass eine weitere Steigerung aufgrund negativer Nebeneffekte keine zusätzlichen Staatseinnahmen mehr generieren würde. Das heiße aber nicht, dass an der Steuerschraube nicht mehr gedreht werden könnte. Für zusätzliche Einnahmen müsste aber auf andere Bereiche geschaut werden, etwa beim Wohnen, Kapitalzuwachs, Erbschaften oder Vermögensbesteuerung. Auch die Bemühungen um eine Konzernbesteuerung könnten mehr Geld in die Staatskassen spülen. In einer vergleichbaren Lage sind auch Belgien, Dänemark, Finnland und Schweden.

Diese Überlegungen bedeuten nicht, dass die Steuern unbedingt steigen werden - oder sollten, schreibt die OECD. Dies sei nur ein Maß für die Herausforderungen, die auf die OECD-Staaten zukommen. Es gebe auch andere Wege, diese zu meistern.

(APA)