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Einsame Spitze

NEW BUSINESS - NR. 8, OKTOBER 2019
So steht es um Österreichs Ich-AGs. © Fotolia/ryanking999

Seine Träume verwirklichen, arbeiten, wann, wo und mit wem man will, und endlich sein eigener Chef sein: Die Vorstellung von einem Erwerbsleben als EPU klingt wahrlich verführerisch ...

... Ist die Realität tatsächlich so romantisch?

Wir suchen ihren Rat in schwierigen Lebenslagen, vertrauen ihnen die Pflege unserer Angehörigen an, verschlingen ihre Artikel und Bücher oder kaufen ihr liebevoll gezüchtetes Gemüse am Wochenmarkt. Auch wenn wir ihre Form der Erwerbstätigkeit meistens nicht hinterfragen – Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sind zu einem fixen Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden.
Laut der aktuellen Studie „EPU in Österreich – Monitoringbericht 2018/19“ der KMU-Forschung Austria waren 2018 rund 316.000 Unternehmer in Österreich Chef und Mitarbeiter in einer Person. Damit macht dieser Sektor mittlerweile rund 60 Prozent aller aktiven Unternehmen aus. So viele unternehmerische Einzelkämpfer wie heute gab es jedoch nicht immer.

Boom der Ich-AGs
„Allein in den letzten sechs Jahren ist die Anzahl der EPU um fast 65.000 bzw. um mehr als 25 Prozent gestiegen, während die Steigerungsrate bei den sonstigen Unternehmensgrößen bei nicht einmal 6 Prozent liegt“, erklärt Manfred J. Schieber, seines Zeichens Head of Study Programs Management & Entrepreneurship an der FH Wien der WKW. Ursachen für diesen Boom der EPU erkennt der Experte gleich mehrere. „Zum einen entwickelt sich die Wirtschaft kontinuierlich zu einer Dienstleistungsökonomie und Dienstleistungen lassen sich tendenziell kleinteiliger umsetzen als etwa eine Produktion. In Österreich trugen Dienstleistungen im Jahr 2018 bereits mit 70,4 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei, die Anzahl der Beschäftigten in diesem, dem tertiären Sektor, lag bei knapp 74 Prozent. Verglichen mit dem sekundären Sektor, der Produktion, war die Anzahl der Beschäftigten in der ersten Hälfte der Siebzigerjahre noch gleichauf, während heute im Dienstleistungsbereich drei Mal so viele Menschen beschäftigt sind wie in der Produktion. Geschäftsmodelle, die mit einer Person als Dienstleistungserfüller und überschaubaren Betriebsmitteln das Auslangen finden, werden quantitativ mehr, das finanzielle Risiko ist dabei oft geringer. Zum anderen spielen in der langfristigen Betrachtung die steigende Mobilität sowie die zunehmende berufliche Unabhängigkeit von Frauen – etwas mehr als die Hälfte der EPU in Österreich sind weiblich – eine Rolle. Mittelfristig war und ist auch die Digitalisierung von Arbeitsmitteln ein Thema, die leichte Nutzung von Kommunikationskanälen lässt eine effektivere und auch eine effizientere Bearbeitung von Zielgruppen sowie die Umsetzung von Geschäftskonzepten zu.“

Erwartung vs. Realität
Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung gelten mit Nennungen jenseits der 70-Prozent-Marke als Hauptmotive für die Gründung eines EPU, dicht gefolgt von der Annahme einer flexibleren Zeiteinteilung. „In den Statistiken werden diese positiven Aspekte von den Befragten durchwegs häufiger genannt als die negativen. Themen wie Unzufriedenheit am früheren Arbeitsplatz oder Perspektivlosigkeit hinsichtlich der Weiterentwicklung in der bestehenden Organisation lassen sich hier ausmachen, scheinen aber im Vergleich der Motive weniger ausschlaggebend zu sein“, erklärt Schieber und gibt zu bedenken, dass der relative Vergleich jedoch leicht über eine durchaus vorhandene Problematik hinwegtäuschen kann. „Die Begründung, durch den Weg in die Selbständigkeit einer Arbeitslosigkeit zu entgehen, wird immerhin von etwa einem Viertel der Befragten bestätigt. Legt man diesen Wert auf unselbständig Erwerbstätige und damit auf eine Arbeitslosenrate von 25 Prozent um, würde das gemeinhin als volkswirtschaftliche Katastrophe aufgefasst werden, im Kontext der EPU wird diese Größenordnung aber in der öffentlichen Diskussion kaum wahrgenommen.“
Auch der im Zusammenhang mit EPU-Gründungen durchwegs positiv interpretierte Aspekt der freien Zeiteinteilung sollte laut Manfred J. Schieber kritisch hinterfragt werden, denn er ginge insbesondere für Frauen oftmals nicht mit der Realität einher. „Durch die nach wie vor reale Situation, dass in den meisten Fällen Frauen für die Kinderbetreuung Verantwortung übernehmen, ist die flexible Einteilung der Arbeitszeit oftmals kein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit, um berufliche und private Lebensbereiche überhaupt vereinbaren zu können.“

Unternehmerische Freiheit hat ihren Preis
Eine Unabhängigkeit ergibt sich zwar aus der Entkoppelung von einem Arbeitgeber und der damit verbundenen Weisungsfreiheit, bringt dafür aber andere Abhängigkeiten mit sich. „EPU haben schon aufgrund der Unternehmensgröße einen entscheidenden Nachteil im Bezug zur jeweiligen Markt- bzw. Verhandlungsmacht, haben sich üblicherweise mit mehr Wettbewerb auseinanderzusetzen und können Preise demnach schwerer durchsetzen“, so Schieber. „Dass EPU sich ihre Kunden/Kundinnen aussuchen können und nur noch die spannenden und lukrativen Aufträge bearbeiten müssen, muss ins Reich der Märchen verbannt werden und trifft nur auf eine Minderheit zu.“
Auch das Thema Selbstverwirklichung muss laut Schieber relativ gesehen bzw. klargestellt werden, insofern, als die meisten EPU genau in dem Bereich selbständig werden, in dem sie davor bereits gearbeitet haben. „Quereinsteiger finden sich meist in wenig qualifizierten und damit niedrig bezahlten Geschäftsfeldern wieder bzw. müssen sich mangels Branchenerfahrung erst mühsam und mit viel Lehrgeld ihren Markt erobern. Die angesprochene Selbstverwirklichung gibt es natürlich, aber nicht in der Interpretation, die gemeinhin darunter verstanden wird.“

Die aktuelle Stimmungslage
Die allgemeine Stimmung unter heimischen EPU ist laut dem WKÖ-Wirtschaftsbarometer 2019 durchaus positiv, wie auch Manfred J. Schieber bestätigt, doch dieser Optimismus ist nicht allein auf die Entwicklungen am EPU-Sektor zurückzuführen. „Die Stimmung ist natürlich auch von der gesamtheitlichen Wirtschaftslage abhängig. Einerseits trägt eine positive Konjunktur auch zur verstärkten Nachfrage kleinteiliger Angebote, wie sie insbesondere die EPU in Dienstleistungssektoren anbieten, bei. Wenn man sich andererseits jedoch die Sparmaßnahmen der Unternehmen ebenso wie jene der Konsumenten bei schwächelnder Konjunktur genauer ansieht, betrifft dies ganz oft genau diese Dienstleistungen. Eingespart wird dann im B2B zum Beispiel im Beratungs- und Schulungsbereich bzw. bei der Personalentwicklung. „
Das WKÖ-Wirtschaftsbarometer verwies Anfang des Jahres jedoch auch auf eine Eintrübung der gesamtwirtschaftlichen Stimmung. Die angekündigte Konjunkturabkühlung habe unter heimischen EPU laut Schieber jedoch noch keine Auswirkungen gezeigt. „Es scheint im Bereich der EPU eine Art Resistance gegen die gerade ausbrechenden globalen Herausforderungen, die sich aus Handelsstreitereien und Machtspielen generieren, zu geben. Hört man sich – empirisch nicht unterlegt – die Stimmungslage in den EPU an, bekommt man eher den Eindruck, als würde eine herannahende Krise mehr als Chance gesehen, mit kleinen, individualisierten Geschäftsmodellen die sich immer schneller verändernden Nachfrageinhalte gut abdecken zu können. Möglicherweise ist dies auf die österreichische Mischung aus sehr wohl vorhandenem Innovationspotenzial und der sprichwörtlichen Gelassenheit zurückzuführen – eine durchaus erfolgreiche und auch Erfolg versprechende Kombination.“

Wachstum? Eine Frage der Fähigkeiten.
In Anbetracht des derzeitigen Optimismus, liegt die Annahme ebenso optimistischer Wachstumschancen im EPU-Bereich mehr als nahe. Sie sind laut Schieber jedoch von der Branche, aber viel mehr von der Persönlichkeit bzw. den individuellen Fähigkeiten und Talenten abhängig. „Selbstverständlich kann aus dem mobilen EPU-Friseurstudio eine ganze Kette entstehen.
Eine solche Entwicklung benötigt aber neben den Fachkenntnissen des Gewerbes noch ganz andere Kompetenzen. Aus der überschaubaren Selbstorganisation entstehen im konkreten Beispiel komplexe Planungs-, Auslastungs- und Ersatzpersonalthemen. Rechtsfragen weiten sich auf Themen der Haftung und einer Unzahl an Rechtsnormen zum Arbeitnehmer/innen-Schutz aus. Wachstumschancen tun sich im Grunde in jeder Branche auf die eine oder andere Art auf. Die Frage ist eher jene, ob man der Unternehmertyp dafür ist und auch die Verantwortung dafür übernehmen möchte. Es geht dann nämlich nicht mehr um die Eigenversorgung bzw. jene der eigenen Familie, sondern auch um Verantwortung für die Einkommenssicherheit von Mitarbeiter/innen.“

Damit der Traumberuf nicht zum Albtraum wird ...
Auch wenn die Erfolgsaussichten für Ich-AGs heutzutage durchaus rosig sind, sind sie kein Freibrief für blauäugige Träumereien. „Gerade für den Einstieg ist es unumgänglich, sein Business absolut zu beherrschen“, richtet sich Schieber an die nächste Generation unternehmerischer Einzelkämpfer. „Der leiseste Zweifel an Fachkompetenz macht hier schon einen Strich durch die Rechnung und gerade in der Dienstleistung ist Vertrauen das Fundament einer Geschäftsbeziehung.“ Ebenso erforderlich für einen erfolgreichen Start ins Erwerbsleben als EPU sind betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse. „Wer seine Preise nicht kalkulieren kann, mit Begriffen wie Deckungsbeiträgen nicht vertraut ist oder den Unterschied zwischen Brutto und Netto nicht versteht, wird in den meisten Fällen ganz schnell Probleme bekommen“, warnt Schieber.
Selbstüberschätzung und Überforderung sind laut Schieber ebenso große Gefahren für angehende EPU, weswegen er rät, Aufgaben, die nicht zu den Kernaktivitäten des Geschäftsmodells gehören, an Dritte auszulagern.
„Jede/r Gründer/in ist von ihrer/seiner Unternehmens­idee begeistert und das ist grundsätzlich auch gut so. Diese Begeisterung ist ein wichtiger Treiber, tendiert aber auch dazu, die Realität auszublenden“, gibt Schieber zu bedenken. Wer gründet, sollte daher seinen Markt realistisch einschätzen können oder ihn testen. „Wer wissen möchte, ob eine Zielgruppe an einer Dienstleistung interessiert ist, muss die Zielgruppe befragen, nicht Verwandte und Freunde. Und zur realistischen Chanceneinschätzung gehört auch, sich bewusst zu machen, wie viele Unternehmen tatsächlich gegründet werden und wie hoch der Anteil der Googles, Amazons und Apples davon in Wirklichkeit ist. Auch EPU zu bleiben, kann glücklich machen.“ (BO)

INFO-BOX
Hybrides Unternehmertum
Rund ein Fünftel der Ein-Personen-Unternehmen in Österreich sind sogenannte hybride EPU – die neben der Selbstständigkeit als Angestellte arbeiten. Die meisten Hybrid-EPU sind zwischen 50 und 59 Jahre alt, fast die Hälfte sind ­Akademiker. Mehr als die Hälfte aller hybriden EPU plant, ihre Zeit zwischen Anstellung und Selbstständigkeit auch in den nächsten Jahren ähnlich ­aufzuteilen. Ein Großteil von ihnen ist außerdem in einer anderen Branche als im jeweiligen Hauptberuf aktiv. Auch hegen hybride EPU deutlich öfter Wachstumspläne: Jedes zweite hybride Unternehmen plant in den nächsten drei Jahren eine Erweiterung am regionalen (50 Prozent) oder am österreichischen Markt (44 Prozent). Herausforderungen für Ein-Personen-Unternehmen jeder Art liegen im mitunter erheblichen Arbeitspensum und administrativen Hürden wie der als zu hoch empfundenen Steuerlast.
(Quelle: Ein-Personen-Unternehmen (EPU) in Österreich 2018/2019, KMU Forschung Austria, Juli 2019)