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Vertrauensfrage

NEW BUSINESS Guides - BILDUNGS-GUIDE 2019
Im Jahr 2018 übernahm der Niederländer Djordy Seelmann, bis dahin Head of Development, die Position des CEO von HousingAnywhere. © RNF

Djordy Seelmann ist CEO der Wohnungsplattform HousingAnywhere, die bei der Suche nach einer temporären Bleibe im Ausland unterstützt ...

... Im Interview erzählt er, wie sie Mieter und Vermieter an einen Tisch bringt, obwohl die unter Umständen auf verschiedenen Kontinenten sitzen.

Ein Auslandssemester während des Studiums, ein Praktikum in einer anderen Stadt oder auch ein Projekt, das einen mehrmonatigen Aufenthalt jenseits der Grenzen des Heimatlandes erfordert – das alles können großartige und prägende Erfahrungen sein. Eine der ersten Herausforderungen, die es dabei zu meistern gilt, ist ein Dach über dem Kopf zu finden. Das Internet hat die Unterkunftssuche deutlich erleichtert, aber es ist eben etwas anderes, ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung für ein paar Tage zu buchen, oder einen richtigen „Heimathafen“ – wenn auch nur vorübergehend.
Plattformen wie HousingAnywhere adressieren die in solchen Fällen vorhandenen Bedürfnisse. Das niederländische Start-up richtet sich an Studierende und Young Professionals und hilft ihnen, in derzeit über 400 Städten eine kurz- bis mittelfristige Mietwohnung zu finden. Housing­Anywhere tritt als Vermittler auf, bringt Mieter in direkten Kontakt mit Vermietern und bietet beiden Seiten damit verbundene Services an. Über 160 Partneruniversitäten empfehlen ihren Studierenden die Nutzung der Plattform, um bei einem Auslandsaufenthalt eine Unterkunft zu finden.
Gegründet wurde das Unternehmen 2009 von dem Niederländer Niels van Deuren, damals selbst Student. Als er auf der Suche nach einer temporären Unterkunft für sein Auslandssemester in Singapur war, erfuhr er am eigenen Leib, mit welchen Schwierigkeiten das verbunden war und ist. Genauso werden oft die besten Start-up-Ideen geboren.
Im Jahr 2018 übernahm der Head of Development Djordy Seelmann, damals bereits vier Jahre an Bord, die Position des CEO. In dieser Zeit legte das Start-up eine beein­druckende Entwicklung hin, erweiterte sein Angebot und seine Serviceleistungen. NEW BUSINESS hat mit dem sympathischen Rotterdamer mit fundiertem Rechts- und Finanz-Background über seine Pläne für die Plattform und ihre Vorteile für Mieter wie Vermieter gesprochen.

Herr Seelmann, was ist die Aufgabe von HousingAnywhere?
HousingAnywhere ist eine globale Plattform, auf der man Unterkünfte mieten kann. Derzeit fokussieren wir auf Menschen, die ins Ausland gehen. Wenn man ins Ausland geht, um dort zu studieren oder zu arbeiten, ist es schwer, vorher die neue Stadt kennenzulernen und dort nach einer Wohnung zu suchen. Besichtigungen sind im Vorfeld meist nicht möglich. Mit Housing­Anywhere kommt man in direkten Kontakt mit Hausverwaltungen und Vermietern und kann seine Wohnung online buchen.
Was wir dann tun: Die Kunden leisten eine Anzahlung für die erste Monatsmiete, die wir erst an den Vermieter überweisen, nachdem unser Kunde eingezogen ist. Das schützt unsere Kunden vor Betrügern – davon gibt es in diesem Bereich, vor allem international, eine ganze Menge.
Den Vermietern wiederum helfen wir dabei, ein erfolgreiches Online-Vermietungs-Geschäft aufzubauen. Wenn man sich die Hotellerie oder das Geschäft mit Ferienwohnungen ansieht, ist das eine sehr technologiegetriebene Online-Indus­trie. Aber bei längerfristigen Unterkünften, wie Mietwohnungen, ist das noch nicht so. Das ist weiterhin ein Offline-Geschäft. Das ist nicht effizient. Es gibt keine Möglichkeit, die eigene Reputation als Unterkunftsgeber zu managen, es gibt Qualitätsprobleme. Man darf auch nicht vergessen, dass die Menschen für ihre Unterkunft den Löwenanteil ihres Budgets ausgeben. Sie stellen also auch Ansprüche. Davon abgesehen: Warum sollten wir nicht solche Tools nutzen, um unser Leben einfacher zu machen? Wir tun es aber noch nicht.

Was unterscheidet Ihr Angebot von anderen Buchungsplattformen?
Die durchschnittliche Buchung auf Housing­Anywhere läuft für sechs Monate, die Band­breite reicht von drei bis zwölf Monaten. Insofern gehören wir nicht zum Mitbewerb von Airbnb oder Booking.com. Wir konzentrieren uns auf längere Aufenthalte.

Was Sie also „oben drauf packen“, ist Vertrauen.
Das Vertrauenselement ist sehr wichtig. Auf der einen Seite muss man der Plattform vertrauen und auf der anderen Seite dem Vermieter und seiner Online-Identität. Wir sind mit Housing­Anywhere noch am Anfang und haben eine viel größere Vision. Wir wollen sehr transparent damit umgehen, von wem unsere Kunden ein Objekt mieten. Wie liefen seine Vermietungen in der Vergangenheit, wie ist sein Ruf? So etwas gibt es bis jetzt noch nicht. Dieser Bereich wird derzeit von Kleinanzeigenplattformen wie Immobilienscout oder Willhaben dominiert. Aber auf diesen Plattformen ist die Identität des Verkäufers relativ undurchschaubar. Das ist ein Problem und erschwert Online-Transaktionen. Das ist die „alte Welt“.

Bis jetzt läuft die Authentifizierung bei Ihnen über Telefon und E-Mail. Reicht das aus?
Nein, tut es nicht. Wir setzen außerdem künstliche Intelligenz ein, um Betrugsversuche aufzuspüren. Es gibt viele Betrüger, die alle Tricks kennen, auf allen großen Online-Plattformen. Wir erkennen verräterische Signale und versuchen vorherzusagen, ob ein User in Wahrheit nur „schauspielert“. So etwas braucht man unbedingt. Bei HousingAnywhere haben wir das großteils automatisiert. Wir haben aber auch Mitarbeiter, die Verdachtsfälle unter­suchen, die nicht klar auf der Hand liegen.

Diese Algorithmen funktionieren schon?
Ja, und sie sind wirklich wichtig. Wenn wir das nicht hätten, hätten wir als Plattform ein Pro­blem mit unserer Reputation. Es geht darum, das Vertrauen der User zu stärken. Was ebenfalls wichtig ist, ist das, was man im Bankenbereich „Know your customer“ (KYC; kenne deinen Kunden) nennt. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Glück arbeiten viele Regierungen, auch in Europa, an digitalen Identitäten. Viele Plattformen versuchen das heute über Verfahren wie VideoIdent zu lösen. Man macht ein Foto von sich und seinem Ausweis oder startet einen Webcam-Chat. Solange es keine anerkannten digitalen Identitäten durch Regierungen oder vielleicht auch Unternehmen gibt, muss man sich auf solche Lösungen ­stützen.
Aber Vertrauen wird nicht nur dadurch aufgebaut, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat, sondern auch dadurch, dass man sich sicher sein kann, dass sich das Gegenüber auch an die Abmachungen hält. Für solche Fälle machen wir Folgendes: Wenn der Mieter herausfindet, dass die Unterkunft in der Realität anders aussieht, als sie auf der Plattform beworben wird, bekommt er von uns sein Geld zurück. Damit stellen wir sicher, dass der Vermieter sich an seine Versprechungen hält und keine falschen Angaben macht.
Was aber passiert – und wogegen wir nicht viel unternehmen können –, ist, dass unser Name mit steigender Bekanntheit immer öfter von Betrügern missbraucht wird. Sie schalten dann Anzeigen auf diversen Kleinanzeigenplatt­formen und verweisen dann darauf, dass die Buchung über HousingAnywhere erfolgt. Wenn der User dann dem Link folgt, kommt er auf eine täuschend echte, aber nachgemachte Seite. So einen Fall hatten wir zum Beispiel kürzlich in Innsbruck, als sich Leute bei uns gemeldet haben, die geglaubt haben, sie hätten über uns eine Unterkunft gebucht. In Wahrheit sind sie aber Betrügern auf den Leim gegangen. Deshalb ist es wichtig, genau wie bei einer Online-Banking-Website, dass man darauf achtet, dass man auf einer authentischen Website surft. Das betrifft nicht nur HousingAnywhere. Die Betrüger werden immer smarter. Darauf müssen wir auch als Gesellschaft eine Antwort finden.

HousingAnywhere beschränkt sich nicht auf gewisse Länder, oder? Wenn zum Beispiel morgen eine Universität in der Antarktis eröffnet wird, könnte ein Vermieter seine Iglus einfach auf die Plattform stellen und anbieten.
Exakt. Solange es eine Internetverbindung gibt, geht das. Das ist aktuell noch die größte Hürde, die globale Internetversorgung ist noch weit von hundert Prozent entfernt. Unser Verbreitungsweg ist das Internet, unsere Aufgabe ist es, eine möglichst nutzerfreundliche Plattform anzubieten.

Warum ein Student Ihre Plattform nutzt, ist relativ klar. Aber warum sollte ein Vermieter sich damit beschäftigen? Vermieter wollen ­Mieter, die möglichst lange bleiben, nicht nur ein paar Monate.
Eine Sache ist der bessere Return on Investment. Auf unserer Plattform mieten die Leute meistens möblierte Wohnungen, eventuell sogar verbunden mit weiteren Services. Das erhöht die Wertschöpfung für den Vermieter. Wegen der kürzeren Aufenthalte sind die internationalen Studenten oder auch Young Professionals außerdem bereit, mehr zu bezahlen. Unsere Vermieter wollen mit internationalen Kunden in Verbindung treten. Außerdem ist es vergleichsweise einfach, über HousingAnywhere neue Mieter zu finden, und es macht keinen großen Aufwand. Das Leerstandsrisiko wird damit minimiert.
Das internationale Segment ist außerdem sehr groß. Alleine in Europa hatten wir 2016 725.000 Studenten, die das Erasmus+-Programm genutzt haben. Rund eine Million Studenten kommt nach Europa, um längere Zeit hier zu studieren. Der Rest sind Young Profes­sionals, Expats et cetera.
Aber auch für Vermieter, die längerfristige Mieter suchen, ist HousingAnywhere eine gute Option. Auch sie wollen sich einen guten Ruf erarbeiten, was aktuell nicht einfach ist. Es gibt im Normalfall keine Aufzeichnungen über zufriedene Mieter. Sie haben meistens keine Präsenz im Internet, wo die meisten Leute suchen. Sie haben außerdem in der Zeit des aufrechten Mietverhältnisses verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Vielleicht hat der Mieter einen Reparaturbedarf gemeldet. Die Miete muss eingebracht werden. Sie müssen sich um die Kautionen kümmern. Das sind alles Dinge, bei denen wir helfen können. Denn genau dabei unterstützen wir auch schon unsere Kunden im internationalen Segment.

Sie gehen außerdem auch gerade in Richtung Finanztechnologie, oder?
Wir wollen den Vermietern bei den Mietprozessen helfen und haben einiges Tests dazu mit Enthusiasten durchgeführt – auch hier in Wien. Wir können bei Zahlungsaufforderungen, Invoicing und Mahnungen unterstützen. Payment ist da der nächste logische Schritt. In Zukunft könnten wir uns auch vorstellen, zum Beispiel bei Hausratsversicherungen behilflich zu sein. Als Plattform könnten wir wegen der Skalierung auch mit den Versicherungsunternehmen bessere Konditionen für unsere User aushandeln. Wir werden selbst kein Versi­cherungsunternehmen oder Payment-Anbieter werden, aber wir können das integrieren.

Wo will HousingAnywhere in den nächsten Jahren hin?
Wir sind im internationalen Segment und helfen internationalen Studenten, Expats und Young Professionals, Unterkünfte im Ausland zu finden. Wo wir hinwollen, ist, dass wir unsere Lösungen für den ganzen Mietmarkt anbieten. Die Hürden dafür sind sehr universell, und wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Technologie viele der vorhandenen Probleme lösen kann. Der Markt ist noch immer sehr intransparent, Kommunikation ist schwierig, es gibt keine Reputationsprozesse, Transaktionen sind schwierig. Ich denke, wir können heute von unserer Unterkunft für das Geld, das wir bezahlen, mehr erwarten. Das ist zum Glück in Wien nicht so das Problem, aber international gibt es viele Schwierigkeiten mit dem Pricing von Mietobjekten. In den letzten zwei Dekaden haben sich die Preise verdoppelt, aber der Service hat sich nicht verbessert. Wir glauben, wir können hier wirklich helfen. Kurzfristig gesehen bedeutet das für uns, dass wir uns auf die Technologie konzentrieren um ein sehr, sehr gutes Produkt zu entwickeln, das das Leben unserer Kunden verbessert. Außerdem müssen wir skalieren, in weitere Städte gehen. Derzeit sind wir in fünf Städten, nächstes Jahr wollen wir in 15 bis 20 Städten selbst präsent sein. Wir wollen für diese Städten Teams aufbauen und sehr intensiv mit den Hausverwaltungen und Vermietern dort in Kontakt treten. Den Rest der Welt ignorieren wir natürlich nicht, das läuft alles über die Plattform. Wir wollen also skalieren und Innovationen schaffen.

Wie läuft eigentlich das Geschäft in Österreich?
Ich bin sehr glücklich mit der Entwicklung. Wir konzentrieren uns zwar auf Wien, aber wickeln unter anderem auch Buchungen in Innsbruck, Salzburg oder Graz ab. Wir waren schon immer in Wien präsent, aber haben das dieses Jahr noch intensiviert. Wien ist sehr international, deswegen ergibt das für uns Sinn. Von der Marktgröße ist Wien sogar vergleichbar mit Berlin. Das wissen nicht viele – zum Glück auch viele unserer Mitbewerber nicht (lacht). (RNF)

INFO-BOX

Über HousingAnywhere
HousingAnywhere wurde 2009 gegründet und hat sich seitdem zu einer der führenden Mietplattformen für internationale Studenten gemausert. Aktuell finden sich dort über 50.000 aktive Inserate in mehr als 50 Ländern. Auf der Plattform treten Mieter in direkten Kontakt mit Vermietern und können Unterkünfte für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum buchen. Über 160 Partneruniversitäten empfehlen ihren Studierenden die Nutzung der Plattform, um bei einem Auslandsaufenthalt eine Unterkunft zu finden.
housinganywhere.com